Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Glasglocke (German Edition)

Die Glasglocke (German Edition)

Titel: Die Glasglocke (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sylvia Plath
Vom Netzwerk:
ich schießen sollte.
    Ich hatte in der Zeitung von Leuten gelesen, die versucht hatten, sich zu erschießen, aber zuletzt hatten sie nur einen wichtigen Nerv getroffen und waren von da an gelähmt, oder sie bliesen sich ihr Gesicht weg und wurden von den Chirurgen und irgendeinem Wunder dann doch davor bewahrt, richtig zu sterben.
    Die Risiken bei einer Schußwaffe schienen groß.
    »Mit was für einem Schießeisen?«
    »Mit der Schrotflinte von meinem Vater. Die ist immer geladen. Ich bräuchte nur irgendwann in sein Zimmer zu gehen, und«, Cal deutete mit dem Finger auf seine Schläfe und machte einkomisches, verkniffenes Gesicht, »klick!« Er riß die blaßgrauen Augen auf und sah mich an.
    »Lebt dein Vater eigentlich in der Nähe von Boston?« fragte ich beiläufig.
    »Nee. In Clacton-on-Sea. Er ist Engländer.«
    Hand in Hand kamen Jody und Mark angerannt, triefend und sich schüttelnd wie zwei verliebte junge Hunde. Mir wurde es zu eng, deshalb stand ich auf und tat, als würde ich gähnen.
    »Ich glaube, ich gehe schwimmen.«
    Das Zusammensein mit Jody, Mark und Cal ging mir langsam auf die Nerven, es lag wie ein taubes Stück Holz auf den Saiten eines Flügels. Ich hatte Angst, jeden Augenblick die Selbstbeherrschung zu verlieren und loszuplappern, daß ich nicht mehr lesen und nicht mehr schreiben könne und wohl so ziemlich der einzige Mensch sei, der einen geschlagenen Monat wach geblieben war, ohne vor Erschöpfung tot umzufallen.
    Rauch schien über meinen Nerven aufzusteigen, wie der Rauch über den Grillstellen und über der sonnenüberfluteten Straße. Die ganze Landschaft – Strand und Landzunge, Meer und Felsen – schwankte vor meinen Augen wie ein gemalter Bühnenhintergrund.
    Ich fragte mich, an welchem Punkt im Weltraum sich das alberne, unechte Blau des Himmels in Schwarz verwandelte.
    »Geh du auch schwimmen, Cal!«
    Jody gab Cal einen Schubs.
    »Ohhh.« Cal vergrub sein Gesicht im Badetuch. »Das ist mir zu kalt.«
    Ich machte mich auf den Weg zum Wasser.
    Im breiten, schattenlosen Mittagslicht sah das Wasser irgendwie liebenswürdig und gastlich aus.
    Ich dachte, Ertrinken müsse die angenehmste Art zu sterben sein und Verbrennen die schlimmste. Einige von den Babys in den Gläsern, die Buddy Willard mir gezeigt hatte, besäßen Kiemen, hatte er gesagt. Sie machten ein Stadium durch, in dem sie wie Fische waren.
    Eine kleine Welle voller Abfälle, Bonbonpapier, Apfelsinenschalen, Seetang, schob sich über meinen Fuß.
    Ich hörte dumpfe Schritte hinter mir, dann holte Cal mich ein. »Komm, wir schwimmen zu dem Felsen da drüben.« Ich deutete hinüber.
    »Bist du verrückt? Bis dahin ist es eine Meile.«
    »Was bist du?« fragte ich. »Ein Feigling?«
    Cal packte mich am Ellbogen und stieß mich ins Wasser. Als wir bis zu den Hüften drin waren, tauchte er mich unter. Prustend kam ich wieder hoch, in meinen Augen brannte das Salz. Von unten war das Wasser grün und ziemlich undurchsichtig, wie ein Quarzstein.
    Ich begann zu schwimmen, eine Art Hundepaddeln, wobei ich immer zu dem Felsen hinübersah. Cal kraulte langsam. Nach einiger Zeit hob er den Kopf und schwamm auf der Stelle.
    »Ich kann nicht mehr.« Er keuchte heftig.
    »Okay. Dann schwimm zurück.«
    Ich wollte weiter hinaus schwimmen, bis ich so erschöpft war, daß ich nicht mehr zurückkam. Während ich weiterpaddelte, tuckerte mir der Puls in den Ohren wie ein schwerfälliger Motor.
    Ich bin ich bin ich bin.
    An diesem Morgen hatte ich versucht, mich zu erhängen.
    Sobald meine Mutter zur Arbeit gefahren war, hatte ich den Seidengürtel ihres gelben Bademantels genommen und im bernsteinfarbenen Halbdunkel des Schlafzimmers eine Schlinge geknotet, die sich auf-und zuziehen ließ. Ich brauchte lange, denn mit Knoten kannte ich mich nicht aus.
    Dann machte ich mich auf die Suche nach einer Stelle, wo ich den Strick festbinden konnte.
    Das Problem war, unser Haus hatte die falschen Decken. Die Decken waren niedrig und weiß, glatt verputzt, und nirgendwowaren Lampenhaken oder Holzbalken zu sehen. Sehnsüchtig dachte ich an das Haus, in dem meine Großmutter gewohnt hatte, bevor sie es verkauft hatte und dann zu uns und später zu Tante Libby gezogen war.
    Das Haus meiner Großmutter war im eleganten Stil des neunzehnten Jahrhunderts gebaut, mit hohen Zimmern und kräftigen Haken für die Kronleuchter und hohen Wandschränken mit stabilen Schlössern und einem Speicher, den nie jemand betrat, voller Truhen und Koffer und

Weitere Kostenlose Bücher