Die Glasglocke (German Edition)
Papageienkäfige und Schneiderpuppen, und die Dachbalken da oben waren so dick gewesen wie auf einem Schiff.
Aber es war ein altes Haus, und sie hatte es verkauft, und sonst kannte ich niemanden mit einem solchen Haus.
Nachdem ich mit sinkendem Mut lange herumgelaufen war, den baumelnden Seidengürtel wie einen gelben Katzenschwanz immer um den Hals, und keine Stelle gefunden hatte, wo ich ihn hätte befestigen können, setzte ich mich auf das Bett meiner Mutter und versuchte, die Schlinge zuzuziehen.
Aber jedesmal, wenn sie so eng wurde, daß ich ein Rauschen in den Ohren hörte und spürte, wie mir das Blut ins Gesicht stieg, erschlafften meine Hände, ließen los, und schon ging es mir wieder besser.
Da begriff ich, daß mein Körper allerlei Tricks kannte, zum Beispiel, meinen Händen im entscheidenden Moment die Kraft zu rauben, mit denen er sich immer wieder rettete, während ich, wenn ich allein das Sagen gehabt hätte, von einem auf den anderen Augenblick tot gewesen wäre.
Also mußte ich ihn mit dem, was mir an Verstand geblieben war, überlisten, sonst würde er mich fünfzig sinnlose Jahre in seinem albernen Käfig gefangenhalten. Denn wenn die Leute einmal erkannt hatten, daß mein Verstand weg war, wie es ja früher oder später geschehen mußte, auch wenn meine Mutter den Mund hielt, dann würden sie sie überreden, mich in eine Anstalt zu stecken, wo ich geheilt werden könnte.
Nur, daß mein Fall eben unheilbar war.
Ich hatte mir im Drugstore ein paar Taschenbücher über Psychopathologie gekauft und meine Symptome mit den Symptomen in den Büchern verglichen, und wie nicht anders zu erwarten, paßten sie zu den absolut hoffnungslosen Fällen.
Außer den Revolverblättern waren die Bücher über Psychopathologie das einzige, was ich lesen konnte – als wäre mir eine schmale Öffnung geblieben, durch die ich alles aufnehmen konnte, was ich über meinen Fall wissen mußte, um ihn auf die richtige Weise zu Ende zu bringen.
Nach dem Fiasko mit dem Aufhängen überlegte ich, ob ich mich nicht einfach den Ärzten ausliefern sollte, aber dann fielen mir Doktor Gordon und sein privater Schockapparat ein. Wenn ich erst hinter Schloß und Riegel saß, konnten sie den jederzeit wieder bei mir anschließen.
Und ich dachte daran, wie meine Mutter, mein Bruder und meine Freundinnen mich jeden Tag besuchen und hoffen würden, daß es mir besser ginge. Irgendwann würden ihre Besuche dann seltener werden, und sie würden die Hoffnung aufgeben. Sie würden alt werden. Sie würden mich vergessen.
Sie würden auch arm werden.
Zuerst würden sie wollen, daß ich die beste Behandlung bekäme, also würden sie all ihr Geld in eine Privatklinik wie die von Doktor Gordon stecken. Zuletzt aber, wenn ihnen das Geld ausgegangen war, würde ich in eine staatliche Anstalt verlegt, zu Hunderten von Leuten wie ich, in einen großen Käfig im Keller.
Je hoffnungsloser der Fall, desto tiefer versteckten sie einen.
Cal hatte kehrtgemacht und schwamm zurück.
Als ich mich umsah, watete er langsam aus dem noch brusthohen Wasser. Vor dem graubraunen Sand und den grünen Wellen war sein Körper einen Augenblick lang zweigeteilt und sah aus wie ein weißer Wurm. Dann kroch er aus dem Grün ganzins Graubraune hinüber und verlor sich zwischen Dutzenden anderer Würmer, die sich da zwischen Meer und Himmel ringelten oder einfach herumlagen.
Ich paddelte mit den Händen und trat mit den Füßen. Der eiförmige Felsen schien kein bißchen näher gekommen zu sein, seit Cal und ich vom Ufer aus hinübergesehen hatten.
Ich erkannte, daß es zwecklos war, bis zu dem Felsen zu schwimmen, mein Körper würde ihn als Vorwand nehmen, aus dem Wasser zu klettern, sich in die Sonne zu legen und Kraft für den Rückweg zu sammeln.
Ich konnte nur eines tun: mich gleich hier ertränken.
Also hielt ich an.
Ich legte die Hände vor meine Brust, zog den Kopf ein und tauchte, indem ich mit den Händen das Wasser zur Seite schaufelte. Das Wasser drückte mir auf die Trommelfelle und das Herz. Ich wühlte mich nach unten, aber bevor ich wußte, wie mir geschah, hatte mich das Wasser wieder in die Sonne gespuckt, und um mich her funkelte die Welt, als bestände sie aus lauter blauen, grünen und gelben Halbedelsteinen.
Ich rieb mir das Wasser aus den Augen.
Ich keuchte wie nach einer heftigen Anstrengung, aber ich schwebte mühelos.
Ich tauchte und tauchte noch einmal, aber jedesmal schoß ich wie ein Korken nach oben.
Der graue Felsen
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