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Die Glasglocke (German Edition)

Die Glasglocke (German Edition)

Titel: Die Glasglocke (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sylvia Plath
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obersten Regalbrett. Ich hätte den Metalldeckel mit den bloßen Händen aufbrechen können, so schwach war das Schloß, aber ich wollte alles ruhig und ordentlich erledigen.
    Ich öffnete die obere rechte Schublade an der Kommode meiner Mutter und zog das blaue Schmuckkästchen aus seinem Versteck unter den duftenden Taschentüchern aus irischem Leinen hervor. Mit spitzen Fingern nahm ich den kleinen Schlüssel von der dunklen Samtunterlage, schloß die Kassette auf und nahm die Flasche mit den neuen Tabletten heraus. Es waren mehr, als ich gehofft hatte.
    Es waren mindestens fünfzig.
    Hätte ich darauf gewartet, bis meine Mutter sie mir nach und nach, Abend für Abend verabreichte, hätte es fünfzig Abende gedauert, ehe ich genügend beisammen hatte. Aber in fünfzig Abenden hätte das College wieder angefangen und mein Bruder wäre aus Deutschland zurück, und es würde zu spät sein.
    Ich legte den Schlüssel zurück, in das Durcheinander aus billigen Ketten und Ringen in dem Schmuckkästchen und stellte das Kästchen zurück in die Schublade unter die Taschentücher, deponierte die Kassette wieder auf dem Schrankbrett und stellte den Stuhl zurück auf den Bettvorleger, genau dahin, von wo ich ihn weggezogen hatte.
    Dann ging ich nach unten in die Küche. Ich öffnete den Wasserhahn und ließ ein großes Glas Wasser vollaufen. Dann nahm ich das Glas und die Flasche mit den Tabletten und stieg hinunter in den Keller.
    Trübes Unterwasserlicht sickerte durch die Schlitze der Kellerfenster. Hinter dem Ölbrenner befand sich etwa in Schulterhöhe ein dunkles Loch in der Wand, eine Höhlung, die bis unter die Terrasse führte. Die Terrasse war nachträglich, nachdem der Keller schon ausgeschachtet worden war, über dieser versteckten Erdhöhle angelegt worden
    Einige Stücke morsches Feuerholz versperrten den Eingang des Lochs. Ich schob sie zur Seite. Dann setzte ich das Glas Wasser und die Tablettenflasche nebeneinander auf die flache Seite eines der Holzstücke und versuchte mich hochzuziehen.
    Es dauerte eine Weile, bis ich meinen Körper in die Öffnung gehievt hatte, aber schließlich gelang es mir, und nun kauerte ich wie ein Kobold am Eingang der Dunkelheit.
    Die Erde unter meinen nackten Füßen schien mir freundlich, aber kalt. Ich überlegte, wann dieses Stück Erdboden zum letzten Mal die Sonne gesehen haben mochte.
    Dann schob ich die schweren, staubigen Holzstücke eines nach dem anderen wieder vor die Öffnung des Lochs. Die Dunkelheit fühlte sich dick wie Samt an. Ich tastete nach Glas und Flasche und kroch vorsichtig auf den Knien mit eingezogenem Kopf zur hinteren Wand.
    Sanft wie Nachtfalter berührten Spinnweben mein Gesicht. Ich raffte meinen schwarzen Mantel wie einen lieben Schatten um mich, schraubte die Flasche auf und schob mir zwischen einzelnen Wasserschlucken die Tabletten eine nach der anderen rasch in den Mund.
    Zuerst geschah nichts, aber als ich den Grund der Flasche fast erreicht hatte, begannen vor meinen Augen rote und blaue Lichter zu blitzen. Die Flasche glitt mir aus den Fingern, und ich legte mich auf den Boden.
    Die Stille zog sich zurück, entblößte die Kiesel und Muscheln und all die kümmerlichen Trümmer meines Lebens. Dann sammelte sie sich am Rand des Gesichtsfeldes und spülte mich mit einem einzigen Schwappen in den Schlaf.

Vierzehn
    Es war vollkommen dunkel.
    Ich spürte die Dunkelheit, aber sonst nichts, und mein Kopf hob sich wie der Kopf eines Wurms. Jemand stöhnte. Dann stieß etwas Großes, Hartes, Schweres wie eine steinerne Wand gegen meine Wange, und das Stöhnen hörte auf.
    Die Stille wogte zurück und glättete sich, wie schwarzes Wasser sich glättet, nachdem man einen Stein hineingeworfen hat.
    Ein kühler Wind wehte. Mit ungeheuerem Tempo wurde ich durch einen Tunnel in die Erde befördert. Dann legte sich der Wind. Da war ein Rumoren, wie von vielen Stimmen, die in der Ferne protestierten und stritten. Dann hielten die Stimmen inne.
    Ein Meißel machte sich über mein Auge her, und ein Lichtschlitz öffnete sich wie ein Mund oder eine Wunde, bis die Dunkelheit ihn wieder zudrückte. Ich versuchte, mich dem Licht zu entwinden, aber Hände wickelten sich wie Mumienbinden um meine Glieder, und ich konnte mich nicht regen. Nun kam es mir vor, als sei ich in einer von Blendlampen erleuchteten unterirdischen Kammer, und die Kammer sei voller Menschen, die mich aus irgendeinem Grund niederdrückten.
    Dann schlug der Meißel noch einmal zu, das Licht

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