Die Glasglocke (German Edition)
Schopf mit, als wäre er aus steifem schwarzem Karton.
Die Frau sah zu mir herüber und kicherte. »Warum sind Sie hier?« Eine Antwort wartete sie nicht ab. »Ich bin wegen meiner frankokanadischen Schwiegermutter hier.« Sie kicherte wieder. »Mein Mann weiß ganz genau, daß ich sie nicht ausstehen kann, trotzdem sagte er, sie könnte uns besuchen kommen, und als sie kam, fuhr mir die Zunge aus dem Kopf, und ich konnte nichts dagegen tun. Sie brachten mich in die Notaufnahme, und nachher bin ich hierhin gekommen«, sie senkte die Stimme, »zu den Bekloppten.« Dann sagte sie: »Und was ist mit Ihnen?«
Ich wandte ihr mein Gesicht zu, ein Auge rot und verquollen, das andere grün. »Ich habe versucht, mich umzubringen.«
Die Frau starrte mich an. Dann griff sie hastig nach einer Filmzeitschrift auf ihrem Nachttisch und tat, als wollte sie lesen.
Die Schwingtür gegenüber meinem Bett flog auf und herein kam ein ganzer Trupp junger Männer und Frauen in weißen Kitteln, zwischen ihnen ein älterer, grauhaariger Mann. Alle hatten ein strahlendes, künstliches Lächeln aufgesetzt. Sie umringten das Fußende meines Bettes.
»Und wie fühlen Sie sich heute morgen, Miss Greenwood?«
Ich versuchte, mir darüber klar zu werden, wer von ihnen gesprochen hatte. Ich kann es nicht leiden, wenn ich zu einer Gruppe von Menschen sprechen soll. Wenn ich zu einer Gruppe von Menschen sprechen soll, muß ich mir einen heraussuchen und zu ihm sprechen, und solange ich spreche, komme ich mir angestarrt und ausgenutzt vor. Ich kann es auch nicht leiden, wenn Leute einen fröhlich fragen, wie es einem geht, während sie genau wissen, daß man sich hundeelend fühlt, und wenn sie dann trotzdem erwarten, daß man sagt: »Prima«.
»Mies fühle ich mich.«
»Mies. Aha«, sagte jemand, und ein junger Mann senkte den Kopf und lächelte verstohlen. Ein anderer kritzelte etwas auf einen Block. Dann setzte jemand ein straffes, feierliches Gesicht auf und sagte: »Und warum fühlen Sie sich mies?«
Es kam mir vor, als könnten einige der jungen Männer und Frauen in dieser munteren Gruppe durchaus Freunde von Buddy Willard sein. Wahrscheinlich wußten sie, daß ich ihn kannte, sie waren neugierig auf mich, und nachher würden sie über mich tratschen. Ich wollte irgendwo sein, wo niemand, den ich kannte, je hinkam.
»Ich kann nicht schlafen …«
Sie unterbrachen mich. »Aber die Schwester sagt, sie hätten letzte Nacht geschlafen.« Ich ließ den Blick an dem Halbkreis frischer, fremder Gesichter entlanggleiten.
»Ich kann nicht lesen.« Ich hob die Stimme. »Ich kann nicht essen.« Mir fiel ein, daß ich mit wahrem Heißhunger gegessen hatte, seit ich wieder bei Bewußtsein war.
Die Leute in der Gruppe hatten sich abgewandt und tuschelten miteinander. Schließlich trat der grauhaarige Mann vor.
»Vielen Dank, Miss Greenwood. Es kommt gleich einer der Stationsärzte zu Ihnen.«
Dann begab sich die Gruppe zum Bett der Italienerin.
»Und wie fühlen Sie sich heute, Mrs. …«, sagte jemand, und der Name klang lang und so, als wäre er voller L's, wie Mrs. Tomolillo.
Mrs. Tomolillo kicherte. »Oh, prima, Doktor. Ganz prima.« Dann senkte sie die Stimme und flüsterte etwas, das ich nicht hören konnte. Einige aus der Gruppe blickten in meine Richtung. Dann sagte jemand: »In Ordnung, Mrs. Tomolillo«, und jemand trat vor und zog den Bettvorhang wie eine weiße Wand zwischen uns.
Ich saß am Ende einer Holzbank auf dem Rasen zwischen den vier Ziegelmauern des Krankenhauses. Am anderen Ende der Bank saß meine Mutter in dem Kleid mit den dunkelroten Wagenrädern. Sie hatte den Kopf in eine Hand gestützt, Zeigefinger an der Wange, Daumen unter dem Kinn.
Eine Bank weiter saß Mrs. Tomolillo mit ein paar dunkelhaarigen, lachenden Italienern. Jedesmal wenn sich meine Mutter bewegte, ahmte Mrs. Tomolillo sie nach. Jetzt saß Mrs. Tomolillo mit dem Zeigefinger an der Wange und dem Daumen unter dem Kinn da und hielt den Kopf nachdenklich schräg.
»Beweg dich nicht«, sagte ich leise zu meiner Mutter. »Die Frau da macht dich nach.«
Meine Mutter sah sich nach ihr um, aber blitzschnell ließ Mrs. Tomolillo ihre fette weiße Hand in den Schoß sinken und unterhielt sich eifrig mit ihren Freunden.
»Stimmt doch gar nicht«, sagte meine Mutter. »Sie beachtet uns überhaupt nicht.«
Aber kaum hatte sich meine Mutter wieder mir zugewendet, da drückte Mrs. Tomolillo die Spitzen ihrer Finger so gegeneinander, wie es meine Mutter gerade
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