Die Glasglocke (German Edition)
getan hatte, und warf mir einen schwarzen, spöttischen Blick zu.
Der Rasen war weiß von Ärzten.
Die ganze Zeit über hatten meine Mutter und ich in dem schmalen Sonnenkegel gesessen, der zwischen die hohen Ziegelmauern fiel, und Ärzte waren zu mir gekommen und hatten sich vorgestellt. »Ich bin Doktor Soundso, ich bin Doktor Soundso.«
Manche von ihnen sahen so jung aus, daß ich gleich wußte, sie konnten keine richtigen Ärzte sein, und einer hatte einen sonderbaren Namen, etwas wie Doktor Syphilis, deshalb begann ich, auf verdächtige, falsche Namen zu achten, und wirklich, es dauerte nicht lange, da kam ein dunkelhaariger Bursche zu uns, der Doktor Gordon sehr ähnlich sah, außer daß seine Haut schwarz war, wo die von Doktor Gordon weiß war, und sagte: »Ich bin Doktor Pancreas«, und schüttelte mir die Hand.
Nachdem sie sich vorgestellt hatten, blieben alle diese Ärzte in Hörweite stehen und notierten sich jedes unserer Worte, das konnte ich meiner Mutter aber nicht sagen, ohne daß sie es gehört hätten, deshalb beugte ich mich zu ihr hinüber und flüsterte es ihr ins Ohr.
Meine Mutter fuhr zurück.
»Oh, Esther, du mußt kooperativ sein. Sie sagen, du wärst nicht kooperativ. Sie sagen, du würdest nicht mit den Ärzten reden, und auch bei der Beschäftigungstherapie würdest du nicht mitmachen …«
»Ich muß hier raus«, sagte ich eindringlich. »Dann ginge es mir sofort besser. Du hast mich hergebracht«, sagte ich. »Nun hol mich hier auch wieder raus.«
Ich dachte, wenn ich meine Mutter dazu bringen würde, mich aus diesem Krankenhaus zu holen, könnte ich sie, wie der Junge mit der Gehirnkrankheit in dem Theaterstück, bei ihrem Mitgefühl packen und ihr klarmachen, was das beste für mich wäre.
Zu meiner Überraschung sagte meine Mutter: »Also gut, ich werde versuchen, dich hier herauszuholen – aber nur, damit wir etwas Besseres für dich finden. Wenn ich versuche, dich hier herauszuholen«, sie legte mir eine Hand auf das Knie, »versprichst du mir dann, brav zu sein?«
Ich fuhr herum und starrte in das Gesicht von Doktor Syphilis, der direkt hinter mir stand und sich auf einem winzigen, fast unsichtbaren Block Notizen machte. »Ich verspreche es«, sagte ich laut und deutlich.
Der Neger schob den Wagen mit dem Essen in den Speiseraum der Patienten. Die psychiatrische Station des Krankenhauses war sehr klein – zwei Flure in L-Form, von denen Zimmer abgingen, eine Art Nische mit Betten hinter der Werkstatt für die Beschäftigungstherapie, wo ich lag, und außerdem ein kleiner Bereich mit einem Tisch und ein paar Stühlen neben einem Fenster in der Ecke des L, unser Aufenthalts-und Speiseraum.
Bisher hatte uns immer ein zusammengeschrumpfter alter weißer Mann das Essen gebracht, aber heute war es ein Neger. Bei dem Neger war eine Frau in blauen Stöckelschuhen und sagte ihm, was er tun solle. Der Neger grinste und gluckste ziemlich albern.
Dann trug er ein Tablett herein, auf dem drei zugedeckte Blechterrinen standen, die er uns auf den Tisch knallte. Die Frau verließ das Zimmer und schloß hinter sich ab. Während der Neger die Terrinen auf den Tisch knallte und dann das verbogene Besteck und die dicken weißen Porzellanteller austeilte, glotzte er uns mit großen Kulleraugen an.
Ich merkte, wir waren seine ersten Verrückten.
Niemand am Tisch machte Anstalten, die Deckel von den Blechterrinen zu nehmen, und die Schwester hielt sich zurück, weil sie sehen wollte, ob einer von uns anfangen würde, die Deckel abzunehmen, ehe sie es tat. Früher hatte Mrs. Tomolillo dieDeckel abgenommen und wie eine kleine Mutter jedem seine Portion auf den Teller gegeben, aber inzwischen hatte man sie nach Hause geschickt, und nun wollte anscheinend niemand ihren Platz einnehmen.
Ich war halb verhungert, also hob ich den Deckel von der ersten Schüssel.
»Das ist sehr nett von dir, Esther«, sagte die Schwester freundlich. »Würdest du dir ein paar Bohnen nehmen und sie dann an die anderen weitergeben?«
Ich nahm mir eine Portion grüne Bohnen und schob die Terrine dann der großen rothaarigen Frau rechts neben mir zu. Die rothaarige Frau durfte an diesem Tag zum erstenmal an den Tisch. Ich hatte sie einmal ganz am Ende des L-förmigen Korridors vor einer offenen Tür mit Gitterstäben in dem rechteckigen Fenster stehen sehen.
Sie hatte herumgeschrien und unverschämt gelacht und sich auf die Schenkel geschlagen, wenn Ärzte vorbeikamen, und der Pfleger in seiner weißen Jacke,
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