Die Glasglocke (German Edition)
unserem Haus standen und lächelten. Wieder wußte ich nicht, wer das Bild gemacht hatte, bis ich sah, daß ich darauf eine Arbeitshose und weiße Turnschuhe trug, und mir einfiel, daß ich die in meinem Spinatpflück-Sommer getragen hatte und daß Dodo Conway an einem dieser heißen Nachmittage vorbeigekommen war und ein paar Familienfotos von uns dreien gemacht hatte. Mrs. Greenwood bat um die Veröffentlichung dieses Fotos in der Hoffnung, es werde ihre Tochter ermuntern, nach Hause zurückzukehren.
FEHLENDE SCHLAFTABLETTEN MÖGLICHERWEISE
BEI VERMISSTEM MÄDCHEN .
Eine finstere Nachtaufnahme von einem Dutzend Leuten mit Mondgesichtern. Die Leute am Ende der Reihe sahen merkwürdig aus und kamen mir ungewöhnlich klein vor, bis ich erkannte, daß es keine Leute, sondern Hunde waren. Mit Bluthunden auf der Suche nach vermißtem Mädchen. Sergeant Bill Hindly: Es sieht nicht gut aus.
MÄDCHEN LEBEND GEFUNDEN !
Das letzte Bild zeigte Polizisten, die eine lange, schlaff durchhängende Deckenrolle mit einem unkenntlichen Kohlkopf am Ende von hinten in einen Krankenwagen hoben. Dann stand dort, meine Mutter sei zum wöchentlichen Wäschewaschen in den Keller gegangen und habe ein leises Stöhnen aus einem unbenutzten Hohlraum gehört …
Ich legte die Ausschnitte auf die weiße Tagesdecke.
»Du kannst sie behalten«, sagte Joan. »Du solltest sie in dein Album kleben.«
Ich faltete die Ausschnitte und schob sie in meine Tasche.
»Ich hatte von dir gelesen«, fuhr Joan fort. »Nicht, wie sie dich gefunden haben, aber alles andere bis dahin, und dann habe ich mein ganzes Geld zusammengekratzt und habe das erste Flugzeug nach New York genommen.«
»Warum nach New York?«
»Oh, ich dachte, in New York würde es leichter sein, sich umzubringen.«
»Was hast du getan?« Joan lächelte einfältig und streckte mir die Arme entgegen, die Handflächen nach oben. Wie kleine Bergketten erhoben sich rötliche Schwielen über der weißen Haut ihrer Handgelenke.
»Wie hast du das gemacht?« Zum erstenmal kam mir der Gedanke, daß Joan und ich vielleicht doch etwas gemeinsam hatten.
»Ich habe beide Fäuste durch das Fenster bei meiner Freundin gestoßen.«
»Bei welcher Freundin?«
»Bei dem Mädchen, mit dem ich im College zusammengewohnt habe. Sie arbeitete in New York, und ich wußte nicht, wo ich sonst hinsollte, außerdem hatte ich kaum noch Geld, deshalb wohnte ich bei ihr. Meine Eltern fanden mich dort – sie hatte ihnen geschrieben, ich würde mich sonderbar benehmen –, da nahm mein Vater ein Flugzeug und holte mich.«
»Aber jetzt bist du wieder in Ordnung.« Ich machte eine Feststellung daraus.
Joan sah mich mit strahlenden, kieselgrauen Augen an. »Vermutlich«, sagte sie. »Du nicht?«
Nach dem Abendessen war ich eingeschlafen.
Eine laute Stimme weckte mich. Mrs. Bannister, Mrs. Bannister, Mrs. Bannister, Mrs. Bannister. Während ich aus dem Schlaf auftauchte, entdeckte ich, daß ich mit den Händen gegen den Bettpfosten trommelte und laut schrie. Schon hastete, scharf umrissen und geduckt, die Gestalt von Mrs. Bannister, der Nachtschwester, ins Bild.
»Na, na, wir wollen doch nicht, daß da etwas kaputtgeht.«
Sie öffnete das Band meiner Armbanduhr.
»Was ist denn los? Was ist passiert?«
Das Gesicht von Mrs. Bannister verzog sich zu einem kurzen Lächeln. »Sie hatten eine Reaktion.«
»Eine Reaktion?«
»Ja, wie fühlen Sie sich?«
»Komisch. Irgendwie leicht und schwebend.«
Mrs. Bannister half mir, mich aufzurichten.
»Jetzt wird es Ihnen besser gehen. Jetzt wird es Ihnen schon sehr bald besser gehen. Wollen Sie etwas heiße Milch?«
»Ja.«
Als Mrs. Bannister mir die Tasse an die Lippen hielt, ließ ich die Milch breit ausfächernd über meine Zunge laufen und kostete sie genüßlich, wie ein Baby seine Mutter kostet.
»Mrs. Bannister sagt mir, Sie hätten eine Reaktion gehabt.« Mrs. Nolan ließ sich in dem Sessel am Fenster nieder und nahm eine winzige Streichholzschachtel heraus. Die Schachtel sah genauso aus wie die, die ich im Saum meines Bademantels versteckt hatte, und einen Moment lang fragte ich mich, ob eine Krankenschwester sie dort entdeckt und Mrs. Nolan heimlich zurückgegeben hatte.
Mrs. Nolan rieb ein Streichholz an der Seite der Schachtel an. Eine heiße, gelbe Flamme sprang auf, und ich sah zu, wie Mrs. Nolan sie in ihre Zigarette sog.
»Mrs. B. sagt, Sie fühlten sich besser.«
»Eine Zeitlang. Jetzt ist es wieder wie immer.«
»Ich habe Neuigkeiten für
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