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Die Glasglocke (German Edition)

Die Glasglocke (German Edition)

Titel: Die Glasglocke (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sylvia Plath
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Sie.«
    Ich wartete ab. Ich hatte jeden Tag, ich wußte nicht, seit wievielTagen, jeden Morgen, jeden Nachmittag und jeden Abend, eingehüllt in meine weiße Decke, im Liegestuhl in der Nische verbracht und so getan, als würde ich lesen. Ich hatte die dunkle Ahnung, daß Mrs. Nolan mir eine bestimmte Anzahl von Tagen gab und dann das gleiche sagen würde wie Doktor Gordon: »Es tut mir leid, aber anscheinend hat sich bei Ihnen nichts gebessert, ich glaube, Sie sollten ein paar Schockbehandlungen machen …«
    »Wollen Sie nicht hören, was es ist?«
    »Was denn?« fragte ich stumpf und machte mich auf alles Schlimme gefaßt.
    »Sie werden eine Zeitlang keinen Besuch mehr bekommen.«
    Ich starrte Mrs. Nolan überrascht an. »Aber das ist ja wunderbar.«
    »Ich dachte mir, daß es Ihnen gefallen würde.« Sie lächelte.
    Dann sah ich – und Mrs. Nolans Blick folgte meinem – nach dem Abfallkorb neben meiner Kommode. Aus diesem Abfallkorb sahen die blutroten Knospen von einem Dutzend langstieliger Rosen hervor.
    Nachmittags war meine Mutter zu Besuch dagewesen.
    Sie war nicht der einzige Besuch, es waren schon viele andere Leute gekommen – meine frühere Chefin, die Frau von »Christian Science«, die mit mir auf dem Rasen umherspazierte und von dem Nebel sprach, der sich in der Bibel über der Erde erhebt, dieser Nebel sei der Irrtum, und mein Problem bestehe nur darin, daß ich an den Nebel glaubte, und sobald ich aufhörte, an ihn zu glauben, würde er verschwinden, und ich würde erkennen, daß ich immer gesund gewesen sei, und der Englischlehrer, den ich auf der High School gehabt hatte und der mir nun Scrabble beizubringen versuchte, weil er glaubte, das würde mein altes Interesse an Wörtern wieder wecken, und Philomena Guinea selbst, die mit dem, was die Ärzte taten, überhaupt nicht einverstanden war und ihnen das auch deutlich sagte.
    Ich haßte diese Besuche.
    Ich saß in meiner Nische oder in meinem Zimmer, und plötzlich platzte eine lächelnde Schwester herein, um mir diesen oder jenen Besuch anzukündigen. Einmal hatten sie sogar den Priester der Unitarischen Kirche angeschleppt, den ich noch nie gemocht hatte. Er war die ganze Zeit über furchtbar nervös, und ich konnte sehen, daß er mich für völlig übergeschnappt hielt, weil ich ihm sagte, ich würde an die Hölle glauben, und manche Leute, ich zum Beispiel, müßten schon, bevor sie starben, in der Hölle leben, zum Ausgleich dafür, daß sie sie nach ihrem Tod verpaßten, da sie ja an ein Leben nach dem Tod nicht glaubten, und woran ein Mensch glaubte, das würde, wenn er starb, mit ihm auch geschehen.
    Ich haßte diese Besuche, weil ich immer das Gefühl hatte, die Besucher maßen mein fettiges, strähniges Haar an dem, was ich gewesen war und was ich ihrer Meinung nach sein sollte, und gingen dann völlig verstört weg.
    Ich dachte, wenn sie nicht mehr kämen, würde ich etwas Ruhe finden.
    Mit meiner Mutter war es am schlimmsten. Sie schimpfte nie mit mir, aber sie bedrängte mich immerzu mit besorgter Miene, ich sollte ihr sagen, was sie falsch gemacht hätte. Sie sei sicher, die Ärzte meinten, sie habe etwas falsch gemacht, denn sie stellten ihr eine Menge Fragen über meine Reinlichkeitserziehung, und ich sei doch schon sehr früh völlig sauber gewesen und hätte ihr nie Probleme gemacht.
    An diesem Nachmittag hatte mir meine Mutter die Rosen gebracht.
    »Heb sie für meine Beerdigung auf«, hatte ich gesagt.
    Das Gesicht meiner Mutter knitterte, sie war den Tränen nahe.
    »Aber Esther, weißt du denn nicht, was für ein Tag heute ist?«
    »Nein.«
    Ich dachte, vielleicht Valentinstag.
    »Heute ist dein Geburtstag .«
    Da hatte ich die Rosen in den Abfallkorb gesteckt.
    »Es war albern von ihr, das zu tun«, sagte ich zu Mrs. Nolan.
    Mrs. Nolan nickte. Sie wußte anscheinend, was ich meinte.
    »Ich hasse sie«, sagte ich und wartete auf den Schlag, der nun kommen mußte.
    Doch Mrs. Nolan lächelte mich nur an, als hätte ihr irgend etwas sehr, sehr gut gefallen, und sagte: »Das scheint mir auch so.«

Siebzehn
    »Heute ist Ihr Glückstag.«
    Die junge Schwester räumte mein Frühstückstablett ab, und nachher, in meine weiße Decke gewickelt, saß ich da wie eine Passagierin, die auf dem Deck eines Schiffes die Seeluft genießt.
    »Wieso Glückstag?«
    »Na ja, ich bin mir nicht sicher, ob Sie es schon wissen sollen, aber Sie ziehen heute nach Belsize um.« Die Schwester sah mich erwartungsvoll an.
    »Belsize«, sagte ich. »Da

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