Die Glasglocke (German Edition)
kann ich nicht hin.«
»Warum nicht?«
»So weit bin ich noch nicht. So gesund bin ich nicht.«
»Aber natürlich sind Sie so gesund. Nur keine Bange, die würden Sie nicht umziehen lassen, wenn Sie nicht so weit wären.«
Nachdem die Schwester gegangen war, überlegte ich, was dieses neue Manöver von Mrs. Nolan zu bedeuten hatte. Was versuchte sie zu beweisen? Ich hatte mich nicht verändert. Nichts hatte sich verändert. Und Belsize war das beste Haus von allen. Von Belsize gingen die Leute zurück an ihren Arbeitsplatz, zurück in die Schule und zurück nach Hause.
Joan war wohl jetzt in Belsize. Joan mit ihren Physikbüchern und ihren Golfschlägern und ihren Federballschlägern und ihrer atemlosen Stimme. Joan, die den Graben zwischen mir undden fast Gesunden markierte. Seit Joan Caplan verlassen hatte, verfolgte ich ihre Fortschritte an Hand dessen, was mir die Anstaltsgerüchte zutrugen.
Joan durfte spazierengehen, Joan durfte Einkäufe machen, Joan durfte in die Stadt. Ich türmte alle Nachrichten über Joan zu einer kleinen bitteren Halde, obgleich ich diese Nachrichten äußerlich fröhlich entgegennahm. Joan war das strahlende Double meines alten Ich in seiner besten Form, eigens geschaffen, mich zu verfolgen und zu quälen.
Vielleicht war Joan schon gar nicht mehr da, wenn ich nach Belsize kam. Immerhin konnte ich in Belsize die Schockbehandlungen vergessen. In Caplan bekamen viele Frauen Schockbehandlungen. Ich konnte erkennen, welche es waren, denn sie bekamen ihr Frühstück nicht zusammen mit uns anderen. Sie bekamen ihre Schockbehandlungen, während wir auf unseren Zimmern frühstückten, und später kamen sie in den Aufenthaltsraum, still und erloschen, von den Schwestern wie Kinder geführt, und frühstückten dort.
Jeden Morgen, wenn ich die Schwester mit dem Tablett an meiner Tür klopfen hörte, überkam mich eine ungeheure Erleichterung, denn ich wußte, an diesem Tag war ich außer Gefahr. Ich verstand nicht, wie Mrs. Nolan behaupten konnte, man würde bei der Schockbehandlung schlafen, wenn sie doch selbst nie eine Schockbehandlung gemacht hatte. Woher wußte sie, daß der Patient nicht bloß aussah, als würde er schlafen, während er in Wirklichkeit die ganze Zeit über die blauen Volt und den Lärm in sich spürte?
Klavierspiel tönte vom Ende des Flurs herüber.
Beim Abendessen hatte ich still dagesessen und dem Geplauder der Belsize-Frauen zugehört. Sie waren alle modisch gekleidet und sorgfältig geschminkt, und mehrere von ihnen waren verheiratet. Einige waren zum Einkaufen in der Stadt gewesen, andere hatten außerhalb Freundinnen besucht, und während desAbendessens flogen die privaten Anspielungen nur so hin und her.
»Ich könnte Jack anrufen«, sagte eine Frau namens DeeDee, »ich fürchte nur, er ist nicht zu Hause. Ich wüßte schon, wo ich ihn erreichen kann – dann stände er schön da.«
Die kleine, muntere Blonde an meinem Tisch lachte. »Heute hatte ich Doktor Loring fast da, wo ich ihn haben wollte.« Sie riß ihre blauen Glotzaugen auf wie ein Püppchen. »Hätte nichts dagegen, den alten Percy gegen ein neues Modell zu tauschen.«
Am anderen Ende des Raumes verschlang Joan mit großem Appetit ihren Schinken und die geschmorten Tomaten. Sie fühlte sich unter diesen Frauen offenbar ganz zu Hause und behandelte mich kühl, ein bißchen von oben herab, wie eine entfernte, nicht weiter wichtige Bekannte.
Ich war nach dem Abendessen sofort zu Bett gegangen, aber dann hörte ich die Klaviermusik und malte mir aus, wie Joan und DeeDee und Loubelle, die blonde Frau, und alle anderen im Salon hinter meinem Rücken über mich lachten und tratschten. Wahrscheinlich unterhielten sie sich darüber, wie schrecklich es sei, daß Leute wie ich in Belsize auftauchten und daß ich eher nach Wymark gehörte.
Ich beschloß, ihren gehässigen Reden einen Riegel vorzuschieben.
Ich drapierte mir meine Decke locker um die Schultern, wie eine Stola, und schlenderte den Flur entlang auf das Licht und den fröhlichen Lärm zu.
Für den Rest des Abends hörte ich zu, wie DeeDee eigene Lieder auf dem Flügel hämmerte, während die anderen Frauen Bridge spielten und plauderten, wie in einem College-Studentenheim, nur daß die meisten mindestens zehn Jahre über das College-Alter hinaus waren.
Eine von ihnen, eine kräftige, große, grauhaarige Frau mit dröhnender Baßstimme namens Mrs. Savage, hatte das VassarCollege besucht. Ich erkannte sofort, daß sie aus der besseren
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