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Die Glasglocke (German Edition)

Die Glasglocke (German Edition)

Titel: Die Glasglocke (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sylvia Plath
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Gesellschaft stammte, denn sie sprach von nichts anderem als von Debütantinnen. Sie hatte anscheinend zwei oder drei Töchter, die in diesem Jahr alle ihr gesellschaftliches Debüt erleben sollten – mit der Einlieferung in die Anstalt hatte sie ihnen den Debütantinnenball allerdings gründlich verdorben.
    DeeDee hatte ein Lied, das sie »Der Milchmann« nannte, und alle sagten, sie solle es veröffentlichen, es würde ein Schlager. Zuerst trappelten ihre Hände eine kleine Melodie auf den Tasten, die wie der Hufschlag eines langsamen Ponys klang, dann kam eine zweite Melodie, die den pfeifenden Milchmann darstellte, und schließlich verbanden sich die beiden Melodien.
    »Es ist sehr hübsch«, sagte ich im Plauderton.
    Joan lehnte an einer Ecke des Flügels und blätterte in der neuesten Ausgabe irgendeiner Modezeitschrift, und DeeDee lächelte ihr zu, als hätten die beiden ein gemeinsames Geheimnis.
    »Oh, Esther«, sagte Joan plötzlich und hielt die Zeitschrift hoch, »das bist doch du, oder?«
    DeeDee hörte auf zu spielen. »Laß mal sehen.« Sie nahm die Zeitschrift, betrachtete die Seite, auf die Joan deutete, und blickte dann prüfend zu mir herüber.
    »Ach, nein«, sagte DeeDee. »Bestimmt nicht.« Sie sah noch einmal in die Zeitschrift, dann zu mir. »Nie im Leben!«
    »Aber das ist doch Esther, ist das nicht Esther?« sagte Joan. Loubelle und Mrs. Savage kamen herübergeschlendert, und auch ich tat so, als wüßte ich Bescheid, und trat mit ihnen an den Flügel.
    Das Foto in der Zeitschrift zeigte ein über beide Backen grinsendes, von jungen Männern umringtes Mädchen in einem schulterfreien Abendkleid aus einem flaumigen weißen Wollstoff. Das Mädchen hielt ein Glas mit einem durchsichtigen Getränk in der Hand und schien über meine Schulter hinweg auf irgend etwas zu blicken, das links hinter mir stand. Ein schwacher Atemhauch traf mich im Nacken. Ich fuhr herum.
    Die Nachtschwester war unbemerkt auf weichen Gummisohlen hereingekommen.
    »Im Ernst«, sagte sie. »Sind Sie das?«
    »Nein. Joan irrt sich. Das ist jemand anderes.«
    »Doch, das sind Sie!« rief DeeDee.
    Aber ich tat, als würde ich nichts hören, und wendete mich ab. Dann bat Loubelle die Schwester, beim Bridge die Vierte zu machen, und ich zog mir einen Sessel heran und sah ihnen zu, obwohl ich von Bridge keine Ahnung hatte, weil ich im College nicht die Zeit gehabt hatte, es zu lernen, wie all die reichen Mädchen.
    Ich starrte auf die flachen Pokergesichter der Könige und Bauern und Königinnen und hörte zu, wie die Schwester erzählte, was für ein schweres Leben sie habe.
    »Ihr Frauen hier ahnt ja nicht, was es heißt, mit zwei Jobs klarzukommen«, sagte sie. »Nachts bin ich hier und beaufsichtige euch.«
    Loubelle kicherte. »Aber wir sind doch lieb. Wir sind die bravsten von allen, das wissen Sie doch.«
    »Ach, ihr seid in Ordnung.« Die Schwester ließ ein Päckchen Kaugummi herumgehen und wickelte dann selbst einen rosa Streifen aus dem Silberpapier. »Ihr seid in Ordnung, aber die Trottel in der staatlichen Anstalt, die schaffen mich wirklich.«
    »Arbeiten Sie tatsächlich hier und da drüben?« fragte ich mit plötzlichem Interesse.
    »Allerdings!« Die Krankenschwester sah mich direkt an, und ich konnte erkennen, daß sie der Meinung war, ich hätte in Belsize nichts verloren. »Ihnen würde es da drüben überhaupt nicht gefallen, Fräuleinchen.«
    Ich fand es sonderbar, daß mich die Schwester Fräuleinchen nannte, obwohl sie genau wußte, wie ich hieß.
    »Warum?« fragte ich.
    »Da ist es nicht so schön wie hier. Hier, das ist ja ein richtigerCountry Club. Da drüben haben sie nichts. Kaum Beschäftigungstherapie, keine Spaziergänge …«
    »Warum machen sie keine Spaziergänge?«
    »Nicht genug Per-so-nal.« Die Schwester kassierte einen Stich, und Loubelle stöhnte. »Und wenn ich genug Pinkepinke für einen Wagen beisammen habe, hau ich ab, das könnt ihr mir glauben.«
    »Auch von hier?« wollte Joan wissen.
    »Allerdings! Ich nehme nur noch Privatpatienten. Falls mir danach ist …«
    Ich hörte nicht mehr hin.
    Es kam mir vor, als hätte die Schwester den Auftrag gehabt, mir meine Alternativen zu zeigen. Entweder ich wurde gesund, oder ich stürzte ab, tiefer und tiefer, wie ein brennender und schließlich ausgebrannter Stern, von Belsize nach Caplan und Wymark und zuletzt, nachdem Mrs. Nolan und Mrs. Guinea mich aufgegeben hatten, in die staatliche Anstalt nebenan.
    Ich raffte meine Decke um mich und

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