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Die Glasglocke (German Edition)

Die Glasglocke (German Edition)

Titel: Die Glasglocke (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sylvia Plath
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stieß den Sessel zurück.
    »Kalt?« fragte die Schwester grob.
    »Ja«, sagte ich und machte mich auf den Weg den Flur entlang. »Ich bin steifgefroren.«
    Warm und wohlig wachte ich in meinem weißen Kokon auf. Winterlich bleiches Sonnenlicht blitzte vom Spiegel, von den Gläsern auf der Kommode und von der metallenen Türklinke herüber. Von der anderen Seite des Flurs drang das morgendliche Geklapper der Küchenmädchen, die die Frühstückstabletts herrichteten, ins Zimmer.
    Ich hörte, wie die Schwester beim letzten Zimmer des Gangs, an der Tür neben meiner, klopfte. Die schläfrige Stimme von Mrs. Savage dröhnte, und mit klirrendem Tablett trat die Schwester ein. Mit sanftem Behagen dachte ich an das dampfende Kaffeekännchen aus blauem Prozellan und die Kaffeetasse aus blauem Prozellan und das bauchige Milchkännchen aus blauem Prozellan mit den weißen Gänseblümchen darauf. Ich fing an, mich abzufinden.
    Wenn ich schon stürzte, wollte ich mich wenigstens, so lange ich konnte, an die kleinen Freuden des Lebens halten.
    Laut klopfte die Schwester an meine Tür und wehte herein, ohne eine Antwort abzuwarten.
    Es war eine neue Schwester – sie wechselten ständig – mit einem hageren, sandfarbenen Gesicht, sandbraunem Haar und großen Sommersprossen auf der knochigen Nase. Aus irgendeinem Grund machte mir der Anblick dieser Schwester angst, aber erst als sie durch das Zimmer ging und das grüne Rollo hochschnappen ließ, fiel mir auf, daß sie so seltsam aussah, weil sie mit leeren Händen gekommen war.
    Ich öffnete den Mund und wollte nach meinem Frühstückstablett fragen, verstummte aber gleich wieder. Die Schwester hatte mich offenbar mit jemand anderem verwechselt. Neuen Schwestern passierte das oft. Irgendeine Frau in Belsize, die ich nicht kannte, wurde offenbar mit Elektroschocks behandelt, und die Schwester hatte mich, was ja verständlich war, mit ihr verwechselt.
    Ich wartete, bis sie glättend, richtend, rückend ihre kleine Runde durch mein Zimmer beendet und das nächste Tablett eine Tür weiter zu Loubelle gebracht hatte.
    Dann schob ich die Füße in meine Pantoffeln, zog meine Decke hinter mir her, denn der Morgen war zwar hell, aber sehr kalt, und huschte über den Gang zur Küche. Das Mädchen im rosa Kittel füllte gerade eine Reihe blauer Kaffeekännchen aus einem zerbeulten Kessel, den sie vom Herd genommen hatte.
    Liebevoll betrachtete ich die Reihe der wartenden Tabletts – die weißen, zu adretten, gleichschenkligen Dreiecken gefalteten Papierservietten, jede von einer Silbergabel beschwert, die bleichen Kuppen der weichgekochten Eier in den blauen Eierbechern, die gerieften Glasmuscheln mit der Orangenmarmelade.Ich brauchte nur die Hände nach meinem Tablett auszustrecken, und die Welt war wieder in Ordnung.
    »Es gab da ein Versehen«, sagte ich mit leiser, vertraulicher Stimme zu dem Mädchen und beugte mich über den Tresen. »Die neue Schwester hat vergessen, mir mein Frühstückstablett zu bringen.«
    Mir gelang ein munteres Lachen, zum Zeichen dafür, daß ich niemandem etwas übelnahm.
    »Wie heißen Sie?«
    »Greenwood. Esther Greenwood.«
    »Greenwood, Greenwood, Greenwood.« Der warzige Zeigefinger des Küchenmädchens glitt an dem Zettel mit den Namen der Patienten in Belsize abwärts, der an der Küchenwand hing. »Greenwood. Heute kein Frühstück.«
    Ich hielt mich mit beiden Händen an der Kante der Theke fest.
    »Das muß ein Irrtum sein. Sind Sie sicher, daß da Greenwood steht.«
    »Greenwood«, sagte das Mädchen entschieden, gerade als die Schwester hereinkam.
    Die Schwester blickte fragend von mir zu dem Küchenmädchen.
    »Miss Greenwood wollte ihr Tablett«, sagte das Mädchen, ohne mich anzusehen.
    »Ach ja«, sagte die Schwester lächelnd, »Sie bekommen Ihr Tablett heute etwas später, Miss Greenwood. Sie …«
    Aber ich wollte nicht hören, was die Schwester sagte. Ich stapfte blindlings den Flur entlang, nicht zu meinem Zimmer, denn dort würden sie mich abholen, sondern zu der Nische, die zwar längst nicht so angenehm war wie die in Caplan, aber trotzdem eine Nische, in einer ruhigen Ecke des Flurs, wo Joan und Loubelle und DeeDee und Mrs. Savage niemals hinkommen würden.
    Ich verkroch mich in der hintersten Ecke der Nische und zogmir die Decke über den Kopf. Die Aussicht auf die Schockbehandlung traf mich nicht so hart wie der schamlose Verrat von Mrs. Nolan. Ich hatte sie gern, ich liebte sie, ich hatte ihr auf einem silbernen Teller mein

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