Die Glasmalerin - Walz, E: Glasmalerin
versuchen, war töricht.
Sandro lief ein paar Schritte hinter ihm. Gelegentlich wandte sich Matthias, ohne stehen zu bleiben, kurz um, als wolle er sich vergewissern, dass Sandro den Abstand und er selbst die Führung beibehielt. Kurz nachdem Matthias ein weiteres Mal über die Schultern geblickt hatte, beschleunigte Sandro seine Schritte und schloss zu Matthias auf.
»Ich will mit dir sprechen. Ich meine, vernünftig sprechen.«
»Worüber?«, fragte Matthias.
»Worüber du willst.«
Sie gingen nebeneinander her, im gleichen Rhythmus und mit der gleichen Art, die Arme zu bewegen. Obwohl sie sich körperlich nicht ähnelten, war manches an ihnen brüderlich.
»Ich wüsste nichts«, sagte Matthias.
»Dabei gibt es so viel zu bereden.«
»Was?«
»Gut, wenn du dich dumm stellst, dann mache ich den Anfang und entschuldige mich.«
»Wofür?«
»Nun hör doch endlich auf, mir Fragen zu stellen, die aus einem einzigen Wort bestehen! Worüber! Was! Wofür! Wofür wohl? Dafür, dass ich dich damals umbringen wollte. Ich bin übrigens für die Wunde am Oberarm zuständig.«
Matthias blieb erneut stehen. Er grinste. »Das darf ja wohl nicht wahr sein. Du flanierst neben mir her und erklärst: Tut mir leid, dass ich dich umbringen wollte; übrigens, ich habe dir den Oberarm zerfetzt.«
Jetzt, wo Matthias es wiederholte, klang es tatsächlich dumm. Aber wie stellte man es an, sich für ein Verbrechen zu entschuldigen? Da hörte sich jedes Wort banal an.
Sie gingen weiter.
»Ich war damals ein ziemlicher Nichtsnutz, weißt du«, sagte Sandro. »Und ich wusste es, ohne es mir einzugestehen. Wer lebt schon und sagt sich andauernd: Ich bin ein Nichtsnutz. Als du kamst, und später, als wir uns in der Kapelle prügelten, da begriff ich erst, wie überlegen du mir warst, und ich wurde eifersüchtig. Ich war der Älteste, bevor du kamst, der einzige Sohn, und plötzlich war ich das nicht mehr, schlimmer noch, ich war ein …«
»Schwächling«, fiel Matthias ihm ins Wort.
»Du genießt es, mich so zu nennen.«
»Irgendwie habe ich es immer gewusst, ich meine, das mit dem Arm. Ich wusste, dass du der erbärmliche Feigling gewesen bist, der sich nicht traute, etwas richtig zu tun. Nichts ziehst du konsequent durch, du wagst nichts. Alles machst du halb, lässt es unfertig zurück, zauderst, zögerst, weichst zurück … Antonia ist ein Beispiel dafür.«
Nun war es Sandro, der stehen blieb.
»Wieso erwähnst du Antonia?«
»Mein liebes Brüderchen. Wir stehen uns nicht nahe, aber ein bisschen, ein kleines bisschen, kann ich in dir lesen so wie du in mir. Das ist das Blut, da kann man nichts machen. Natürlich ist mir aufgefallen, dass du Antonia – sagen wir mal – begehrenswert findest.«
Sandro zögerte, bevor er antwortete: »Ich bin Jesuit, Matthias, und ich nehme meine Gelübde ernst.«
»Selbstverständlich tust du das. Gelübde bieten eine herrliche Deckung, hinter der man sich verschanzen kann, um nicht kämpfen zu müssen.«
»Ich verstehe nicht, worauf du hinauswillst.«
»Ich habe mit Antonia geschlafen. Heute. Vorhin. Kurz vor der Sitzung. Es war wunderbar. Wir werden heiraten. Möchtest du mein Trauzeuge sein, das wäre doch witzig.«
In diesem Augenblick fuhr Villefranches Kutsche an ihnen vorbei und wirbelte Unmengen von Staub auf, der Sandro und Matthias einhüllte, unsichtbar machte. Sie waren allein und sahen sich durch die gelbliche Wolke hindurch an, zwei Rivalen, schwarze Hüllen gegen Blaumurmeln, Ulm gegen Rom.
Sandro war froh, dass es keine Versöhnung zwischen ihnen geben würde. So war es ihm lieber, denn so war es ehrlich.
Nach einer Weile, als die Kutsche nicht mehr zu sehen war und der Staub sich verzogen hatte, ging Sandro den Weg weiter, und Matthias blieb stehen und lachte.
»Eins noch«, rief Matthias hinter ihm her. »Ich finde, es wird Zeit, dass ich es dir sage: Damals, vor sieben Jahren, nach deinem Mordanschlag auf mich, bin ich zu unserer Mutter gegangen und habe ihr die Wahl gelassen, dich zu überreden, Mönch zu werden, andernfalls würde ich den Anschlag zur Anzeige bringen.«
Wieder lachte er. »Du glaubtest immer, es sei Elisas Wille gewesen, oder Gottes Wille. Aber der Gott in deinem Leben, das bin ich, Sandro.«
»Jemand hat sich gestellt«, sagte Hauptmann Forli, als Sandro den Palazzo Pretorio, das Polizeigebäude, betrat. »Er sagt, er war bei Cespedes gewesen, als er getötet wurde.«
»Wo ist er?«
»In Eurem Amtsraum.«
Forli kaute auf
Weitere Kostenlose Bücher