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Die Glasmalerin - Walz, E: Glasmalerin

Die Glasmalerin - Walz, E: Glasmalerin

Titel: Die Glasmalerin - Walz, E: Glasmalerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eric Walz
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sie beobachteten.

15
    Kardinal Marcello Creszenzio, der Konzilspräsident und Legat des Papstes, sah aus wie ein zu Tode erschöpfter Vogel, der sich irgendwo niedergelassen hatte, um zu sterben. Der prunkvolle Sessel – der Sessel mit der höchsten Lehne von allen am ovalen Tisch – war viel zu groß für ihn. Als er mit einem kleinen Glöckchen die Sitzung eröffnete, achtete niemand auf ihn, und er schien darüber fast in Tränen auszubrechen.
    Die im kleinen Kreis tagende Sitzung im Kastell war einberufen worden, um besonders strittige Themen zwischen Reformern und Konservativen zu besprechen. Natürlich waren Diskussionen mit allen Delegierten im Dom um theologische oder liturgische Fragen notwendig, doch man hoffte, bestimmte Entscheidungen voranzutreiben, wenn sich die Meinungsführer der verschiedenen Strömungen zuvor einigen oder wenigstens annähern würden. Der Kaiser in Innsbruck wachte mit Argusaugen darüber, dass man sich nicht in endlosen und fruchtlosen Kolloquien erschöpfte, sondern Kompromisse einging, die es den Protestanten ermöglichen würden, in den Schoß der Kirche zurückzukehren.
    Sandros Rang als Visitator hatte ihm problemlos Zugang zu der Sitzung verschafft. Er kam hierher, weil er nicht wusste, wo er sonst ansetzen sollte. Bertani und Villefranche waren zwei wichtige Männer der Reformer und der Konservativen gewesen, und hätten sie noch gelebt, würden sie jetzt vermutlich in diesem erlauchten Kreis sitzen. Das war die einzige Gemeinsamkeit, die Sandro erkennen konnte.
    Sandro saß neben Erzbischof Villefranche und wurde von diesem seit geraumer Zeit mit einer Suada belegt. Der Franzose ließ sich über das belanglose Deckenfresko des Sitzungssaales aus, kritisierte die unstimmige Architektur des Kastells sowie die künstlerisch unfertige Stadt Trient im Allgemeinen und den Dom im Besonderen. Einzig die neue Glasmalerei, so sagte er, sei dort ausgereift, dieselbe Glasmalerei, die er zur künstlerischen Vervollkommnung seiner Kathedrale nach Toulouse holen werde. Danach schwärmte er von Rom, vor allem vom Palast der Farnese, den er als Sternstunde italienischer Ästhetik bezeichnete, und davon, dass er mehrere Male das Glück gehabt habe, dort als Gast der Familie zu übernachten. Er sprach ungewöhnlich manieriert, was Sandro nach einer Weile anstrengte.
    Die Zusammensetzung des Dutzends Teilnehmer spiegelte ungefähr die Stimmenverhältnisse im Konzil wider. Konservative und Reformer hielten sich die Waage. Sandro vermutete, dass Villefranche zu der Sitzung eingeladen war, weil ihn die französischen Prälaten hoch achteten und seine Meinung deren Stimmverhalten stark beeinflussen würde. Für manche galt er sogar als das Zünglein an der Waage, denn während die Portugiesen, Spanier und Süditaliener eine fast geschlossene konservative Front bildeten, und die Norditaliener, die im Exil lebenden Engländer sowie einige Deutsche und Böhmen Reformer waren, wusste man von den Franzosen nicht genau, wo sie standen. Sie konnten also den Ausschlag geben, und Villefranche war der Bedeutendste unter ihnen.
    Außer Creszenzio, den Konzilspräsidenten, erkannte Sandro Rowlands, einen der größten Papstkritiker, der mit versteinertem Gesicht auf der linken Seite Creszenzios saß, sowie Innocento del Monte auf der rechten Seite. Er hatte Sandro mit freundlichem Handschlag begrüßt, ein paar Worte mit ihm gewechselt, und Innocento hatte ihm gesagt, dass er den versprochenen Brief geschrieben habe. Danach hatte der junge Kardinal sich lässig auf seinen Platz gesetzt und sichtbar gelangweilt – woran sich auch nach Creszenzios zaghaftem Glockengeläut nichts änderte. Zwischen ihm und Sandro waren zwei Stühle frei, es folgten Villefranche sowie eine Reihe weiterer Prälaten.
    Matthias kam zu spät. Da er nur die Wahl hatte, sich neben Sandro zu setzen oder einen Stuhl zwischen ihm und sich freizulassen, entschied er sich für Letzteres. Er tauschte keinen Blick mit ihm.
    Luis’ Eintreffen komplettierte die Versammlung. Er setzte sich auf den einzigen freien Platz neben Sandro, sah ihn mit größtmöglicher Gleichgültigkeit an und sagte leise: »Wir sind ab jetzt zu zweit, was die Aufklärung der Morde angeht.«
    Und an die Versammelten gewandt, sagte er: »Seine Heiligkeit hat mich zum Visitator berufen. Ich soll unserem überforderten Bruder unter die Arme greifen und die Aufklärung der Verbrechen beschleunigen, bevor wir noch alle erdolcht werden.«
    Viele der Anwesenden lachten,

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