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Die Glasmalerin - Walz, E: Glasmalerin

Die Glasmalerin - Walz, E: Glasmalerin

Titel: Die Glasmalerin - Walz, E: Glasmalerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eric Walz
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war, die Untersuchung des Mordes allein weiterzuführen? So viel war klar: Die Wahrheit über Matthias und ihn ließ sich nicht länger geheim halten – jedenfalls nicht die ganze Wahrheit.
    »Manchmal denke ich, du kannst Gedanken lesen, Luis.«
    »Nicht doch. Aber ich habe recht, ja?«
    »Gewissermaßen.«
    »Höre ich da eine Einschränkung? War es – eine zweifelhafte Frau?«
    Sandro straffte sich und zog die Augenbrauen zusammen. »Ganz und gar nicht«, rief er empört. »Es war keine Rivalität zwischen Freiern, sondern … Es ging um – um unsere Mutter.«
     
    Salvatore Bertanis Leichnam lag auf einem Tisch im Keller des Gerichtsgebäudes, wo es stickig und warm war. Ein grobes Wolltuch, fleckig und ausgebleicht, bedeckte sein Geschlecht, so als habe es jemand dort zufällig abgelegt, doch ansonsten war der Körper nackt. Ein kraftvoller Körper, trotz der Anzeichen des Alters. Die Adern der Arme zogen sich wie Taue von den Bizepsen bis zum Handgelenk, die Brust war grau behaart und fest, und das markante Kinn drückte Willensstärke aus. Bertanis Körper unterstrich, wie er als Mensch gewesen war: kein sanfter Hirte, sondern ein streitbarer Geist.
    Sandro bekreuzigte sich und trat näher an den Toten heran. Er hatte Hochachtung vor diesem Mann, der in einer Zeit, als alle Prälaten sich lieber an Wein, Festen und Kunstwerken berauschten, auch an die Armen gedacht und die Entfremdung der Kirche von ihrem seelsorgerischen Auftrag angeprangert hatte. Jahr um Jahr war seine Anhängerschaft gewachsen, und auch Ignatius von Loyola, der Begründer der Jesuiten, sah in ihm einen Hoffnungsträger.
    Jedoch als Sandro sich die Gesichtszüge des Toten näher ansah, fiel ihm ein verächtlicher, ja, grausamer Zug in den Mundwinkeln auf. Er wusste nicht, ob Bertani, als er noch lebte, so ausgesehen hatte, bezweifelte es aber. Erst der Tod, erst das unbewegliche Gesicht, der festgehaltene Moment verdeutlicht das Verborgene, das dem Betrachter eines Lebenden entgeht. Der Bewegung haftete das Flüchtige an, allein der Tod war ewig. Wer hatte je die Möglichkeit gehabt, Salvatore Bertani so unverschämt lange und genau zu mustern, wie Sandro es jetzt tat?
    Die Hände des Toten waren welk wie Buchenblätter im November, aber was sie für Sandro abstoßend machte, war ihre knochige Härte und dass sie wie Krallen gebogen waren. Diese Hände hielten fest, und tatsächlich hing Bertani zu Lebzeiten der Ruf an, das, was er besaß, nicht mehr hergeben zu wollen. Es war doch immer wieder erstaunlich, fand Sandro, wie Charaktereigenschaften sich im Äußeren eines Menschen widerspiegelten. Das Wissen darüber – und die Fähigkeit, es zu nutzen – verdankte er Luis.
    Sandro fragte: »Wurde etwas an der Leiche verändert?«
    Der Arzt trat einen Schritt nach vorn, und Sandro wurde in eine Duftwolke aus Äther getaucht. Er war ein kleiner Mann mit schmächtigen Schultern und trüben Augen. Letzteres versuchte er, durch zwei Augengläser zu kompensieren. Das billige Gestell hielt nur, wenn er die Stirn über der Nasenwurzel stark runzelte. Vielleicht war das der Grund, dass er jeden Blickkontakt vermied, so als wäre man die Medusa.
    »Nichts«, sagte er. »Die Leiche wurde heute Morgen genau so gefunden. Von einem Diener, soweit ich weiß. Dann wurde ich gerufen, und seither bin ich nicht mehr von der Seite des Leichnams gewichen.«
    »Und das Wolltuch?«
    Er schrak zusammen. »O ja, wie dumm von mir, das nicht erwähnt zu haben. Das habe natürlich ich dort platziert. Es erschien mir … Ich mache das immer so.«
    »Sehr pietätvoll«, beruhigte Sandro den Arzt, der immer nervöser wurde. Kleine Schweißperlen standen ihm auf der Halbglatze, und der Geruch von Äther wurde stärker, so als dünste er ihn aus.
    »Woran ist er gestorben«, fragte Sandro.
    »Wenn Ihr bitte auf diese Seite tretet.« Der Arzt griff nach einer Schulter des Toten und zog ihn in die Seitenlage.
    Genau in der Mitte zwischen den Schulterblättern war aus einer winzigen, kreisrunden Stichwunde, die man im ersten Moment für ein Muttermal hätte halten können, ein Rinnsal von Blut gelaufen, das, geronnen und wie Lava verkrustet, bei Berührung abplatzte.
    »Und diese kleine Wunde hat ihn getötet? War die Waffe etwa mit Gift bestrichen?«
    »Sehr unwahrscheinlich, ehrwürdiger Vater. Es gibt keine Verfärbungen der Haut, der Tote riecht nicht aus dem Mund, kein Ausfluss von Exkrementen. Stattdessen Blut im Rachen.«
    »Das bedeutet?«
    »Die Lunge wurde

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