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Die Glasmalerin - Walz, E: Glasmalerin

Die Glasmalerin - Walz, E: Glasmalerin

Titel: Die Glasmalerin - Walz, E: Glasmalerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eric Walz
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schützten. Sie jubelten ihm zu. Sie jubelten derart laut, dass das Requiem aus dem Dom sich mit ihren ekstatischen Schreien vermischte.
    Requiem aeternam dona nobis, Domine …
    Innocento griff in einen Lederbeutel und warf eine Handvoll Münzen im hohen Bogen über die Köpfe hinweg, dann noch einmal und noch einmal, und die Leute verstanden, dass das nicht die Almosen eines Reichen waren, die ihnen wie Schweinefutter hingeworfen wurden, sondern dass er dieses Geld mit Freude gab. Es machte ihm sichtlich Spaß, etwas von dem, was er gewonnen hatte, mit den Elenden zu teilen.
    Das Geld verursachte einen großen Trubel. Die Leute bückten sich, um die Münzen aufzuheben, andere versuchten, das Gold zu fangen, und drängelten näher an ihn heran, man applaudierte, man rief seinen Namen, man bat um mehr. Die Parade der Zünfte und Gilden löste sich auf, selbst die Bankiers bückten sich nach den Münzen.
    Innocento stieg von seinem Pferd ab und genoss das Bad in der Menge. Carlotta wurde hin und her gestoßen. Sie drohte nach hinten abgedrängt zu werden, also nahm sie die Hand aus ihrem Kleid und arbeitete sich mühsam näher an Innocento heran. Ihr war es gleichgültig, ob die Leute diesen jungen Mann liebten und ihn als einen der ihren feierten. Wenn sie nahe genug wäre, um zustoßen zu können, würde sie es tun.
    Carlotta stand unmittelbar in Innocentos Rücken. Das Kardinalsrot – Symbol des Märtyrertodes – leuchtete ihr direkt in die Augen. Sie griff in ihr Kleid, packte den Dolch und zog ihn hervor. Niemand bemerkte, dass sie eine Waffe in der Faust hielt. Die Wachen waren damit beschäftigt, Innocento den Weg zu bahnen, und die Bettler und Neugierigen achteten nur auf ihn. Er war der Mittelpunkt eines Platzes, einer Stadt, sogar bedeutender als der Dom.
    Domine, libera animas omnium fedelium defunctorum de poenis inferni, sangen sie dort. Herr, errette die Seelen aller, die im Glauben an Jesus Christus starben.
    Innocento würde gewiss nicht in diesem Glauben sterben, das Einzige, das Carlotta mit ihm gemeinsam hatte.
    Domine, libera animas omnium fedelium defunctorum de poenis inferni.
    Carlotta zielte auf den unteren Rücken ihres Opfers. Nachdem sie zugestoßen hatte, würde sie den Dolch sofort wieder herausziehen und in der Menge untertauchen. Bevor jemand verstehen könnte, was geschehen war, wäre sie bereits außer Gefahr. Danach würde sie noch drei, vier Tage in Trient bleiben, um nicht aufzufallen, und dann diesen Ort und ihre Existenz als Carlotta da Rimini für immer hinter sich lassen. So, wie sie schon einmal ihr Leben hinter sich gelassen hatte, würde sie es ein weiteres Mal, ein letztes Mal tun.
    Sie konzentrierte alle Kraft in ihrem rechten Arm.
    Domine, libera animas omnium fedelium dufunctorum de poenis inferni.
    In dem Moment, als sie zustoßen wollte, warf Innocento eine weitere Handvoll Münzen im hohen Bogen über die Menge. Sofort gerieten die Menschen in heftige Bewegung, und das Gedränge um den jungen Prälaten glich mit einem Mal einem wogenden, schwappenden Meer mit Strudeln und Strömungen.
    Jemand stieß Carlotta an.
    Ihr Dolch fiel zu Boden.
    Innocento lachte über die Köpfe der sich bückenden Menschen hinweg, während Carlotta einen stummen Fluch über ihre Lippen schickte.
    Sie bückte sich mit den anderen, tastete nach ihrer Waffe. Sie spürte, wie eine Münze ihren Hinterkopf traf und an ihrem Nacken entlangglitt. Direkt vor ihr fiel sie klimpernd zu Boden. Ein junger Bursche mit Wuschelkopf schnappte die Münze, stieß einen Freudenschrei aus und sah Carlotta triumphierend an. Sie ignorierte ihn.
    Endlich entdeckte sie ihren Dolch und streckte die Hand nach ihm aus, aber immer wieder wurde er ein Stück weggestoßen.
    Schließlich bekam sie ihn zu fassen, und für einen kurzen Augenblick durchströmte sie ein beruhigendes Gefühl, so als ströme Medizin durch sie hindurch – doch da trat ihr jemand unabsichtlich auf die Hand, und sie ließ die Waffe wieder fallen.
    Jemand stieß sie von links an, dann ein anderer von rechts. Sie verlor das Gleichgewicht, taumelte, und als sie sich wieder gefangen hatte, war Innocento weit entfernt und der Dolch war nicht zu sehen.
    Carlotta stieß einen Schrei aus. Ihr war, als täte die Erde sich vor ihr auf. Der Dom drehte sich mitsamt den Häusern und Wolken, die Berge rückten in unendliche Ferne, um im nächsten Moment unmittelbar vor ihr aufzuragen. Ihre Beine knickten ein. Sie sank auf die Knie. Obwohl es heller Vormittag

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