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Die Glasmalerin - Walz, E: Glasmalerin

Die Glasmalerin - Walz, E: Glasmalerin

Titel: Die Glasmalerin - Walz, E: Glasmalerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eric Walz
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wie diese gehofft hatte, als um zu verhindern, dass Inés durch irgendeinen Zufall die Waffe in ihre Hände bekam.
    Eine Fügung, ja, das war es. Was hatte Carlotta sich nicht alles überlegt, wie sie unbemerkt an Innocento herankäme: Sich als Bedienstete verkleiden und auf eine Gelegenheit hoffen; den jungen Kardinal überfallen, während er allein seine Notdurft verrichtete; den Pferdeliebhaber Innocento, der viele Stunden mit den Tieren zubrachte, in den Stallungen überraschen … Das alles konnte sie sich ersparen. Innocento würde in wenigen Augenblicken auf dem Domplatz eintreffen und von Menschen umringt sein. In dem dichten Gedränge konnte Carlotta mit etwas Glück die Tat verüben, ohne bemerkt zu werden.
    Zweihundert, dreihundert Hälse reckten sich, als Hufgeklapper zu hören war. Das Geflüster wurde leiser.
    »Er soll ein hübscher Knabe sein …« – »Es heißt, er geht noch immer in die Schänken seines Armenviertels …« – »Angeblich reist er ohne Gefolge. Von Rom bis Trient auf einem Pferderücken, das nenne ich bescheiden.« – »Er ist einer von uns.«
    Die meisten Gerüchte über ihn stimmten, soweit Carlotta das beurteilen konnte. Er war tatsächlich hübsch, so hübsch wie jemand aus dem Armenviertel sein konnte, der vierzehn Jahre lang als Gassenjunge zwischen anderen Gassenjungen groß geworden war. Er hatte bronzefarbene Haut, sehr dunkle Augen und glattes schwarzes Haar, dazu den leicht muskulösen Körper so vieler junger Römer einfacher Herkunft. In seiner Schönheit war er durch und durch gewöhnlich, ja geradezu primitiv. Die Armut, die Kindheit im Elend, stand ihm ins Gesicht geschrieben. Der Glauben sowie die Kirchenpolitik interessierten ihn wenig. Carlotta hatte einige ihrer nächtlichen Gefährten vorsichtig nach Innocento gefragt, und diese hatten ihr übereinstimmend berichtet, dass er in Rom seinen Vergnügungen nachging, in den stinkenden Schänken aus seiner Vergangenheit saß, die Freunde von früher in seinen Palazzo kommen ließ, wo sie Karten spielten, würfelten oder sonst was miteinander machten. Er galt weder als klug noch als raffiniert oder politisch begabt, dafür als aufbrausend: Er legte sich andauernd mit den vornehmen römischen Familien an, die ihn verachteten und lächerlich zu machen versuchten. Es war zu Prügeleien zwischen Innocento und seinen Freunden einerseits und den Gefolgsleuten der Farnese andererseits gekommen, ein wunderbares Gesprächsthema für die Römer. Die Kirchenreform interessierte ihn gewiss wenig, und wenn er nach Trient gekommen war, so nur deshalb, weil er Roms überdrüssig war und für eine Weile die Abwechslung im kleinen und feinen Trient suchte. Carlotta war das nur recht. In Rom war sie nicht an Innocento herangekommen, im kleinen Trient würde sie endlich ihre Rache ausüben können.
    In dem Moment, als Innocento auf den Platz ritt, erklang im Dom das vielstimmige Requiem für Salvatore Bertani. Der Gesang flutete dumpf durch die schweren Kirchenpforten ins Freie und legte sich wie ein Leichentuch über den ganzen Platz. Die Vertreter der Zünfte und Gilden senkten zunächst artig den Kopf, doch da alle anderen den Hals nach Innocento verdrehten, konnten auch sie ihre Neugier nicht länger unterdrücken.
    Requiem aeternam dona nobis, Domine … Herr, gib ihm die ewige Ruhe.
    Carlotta erschauerte. Sie erschauerte, weil sie ihr Opfer näher kommen sah, weil die Totenmesse gesungen wurde und weil sie im gleichen Augenblick die rechte Hand in ihr Gewand schob und den Dolch umklammerte. Bertanis Requiem würde auch Innocentos werden.
    Die Soldaten der Wache von Trient versuchten, mit ihren Lanzen den Kardinal vor der Menge abzuschirmen, die sich immer dichter um ihn und sein Pferd drängte. Er schien deswegen in keiner Weise verärgert oder beunruhigt, im Gegenteil, er grüßte nach allen Seiten und warf der Menge ein breites Lächeln zu, während sein Pferd langsam an ihnen vorüberzog. Dann sah er auch Carlotta an – einen kurzen Augenblick nur, bevor er weiterritt -, und da verstand sie, was ihn nicht nur interessant, sondern für die meisten in dieser Menschenmenge auch sympathisch machte: Er hatte nicht den hochmütigen Blick eines Prälaten, nicht den distanzierten Ausdruck der Vornehmen. Er war einer von ihnen. Die Armut, die einfache Herkunft, die man ihm trotz des Kardinalgewands noch immer ansah, umgab ihn wie eine Aura. Die Menschen verloren die letzte Scheu vor ihm und sprengten den Ring der Wachen, die ihn

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