Die Glasmalerin - Walz, E: Glasmalerin
war, wurde es dunkel um sie.
Quia pius es , drang es aus dem Dom. Denn du bist barmherzig.
Der Gott, der ihr alles genommen hatte, verspottete sie auch noch. Sie wünschte, sie wäre tot.
Der Schatten eines Mannes legte sich über Carlotta. Als sie aufblickte, sah sie in das vernarbte Gesicht eines Wachsoldaten.
»Was macht Ihr da?«, fragte er misstrauisch.
Carlotta brachte kein Wort heraus. Einen Atemzug lang war ihr alles egal, aber gleich darauf meldete sich ihr schlechtes Gewissen zu Wort und verbot ihr jede Müdigkeit.
»Ihr betet wohl für Bischof Bertani?«, vermutete der Soldat. »Na schön, aber derzeit dürfen nur Berechtigte auf den Domplatz.«
Wortlos griff sie in ihr Kleid und reichte der Wache ein Papier.
»Dieser Passierschein«, sagte er, »ist von Bischof Bertani unterzeichnet worden. Seid Ihr eine Vertraute des Bischofs gewesen?«
Sie nickte.
»Der Passierschein ist korrekt ausgestellt«, räumte er nach einem weiteren kritischen Blick ein. »Aber er ist mit dem Tod des Bischofs ungültig geworden.«
Ihr überraschter Blick ließ ihn hinzufügen: »Alle Dokumente verfallen mit dem Tod des Unterzeichners. Wusstet Ihr das nicht? Ihr braucht einen neuen Vertrauten, Frau, oder Ihr dürft das Gebiet um den Domplatz nicht mehr betreten.«
Er griff ihr unter den Arm und zog sie hoch. »Geht jetzt! Ihr habt hier nichts verloren.«
Carlotta ging. Was hätte sie auch sonst tun sollen? Opfer und Waffe waren ihr abhanden gekommen: der Dolch war fort, Innocento war fort, der Passierschein war fort. Sie würde ganz von vorn anfangen müssen, aber es gab keinen Zweifel, dass sie am Ende ihr Ziel erreichen würde. Ein neuer Dolch war schnell zu besorgen, und Innocento war nicht einer, der sich in seinem Palazzo einschloss.
Carlotta wischte sich vor ihrem Quartier die Tränen von den Wangen und verzog ihre Lippen zu dem besten Lächeln, das sie im Moment hervorbringen konnte. Inés sollte sie nicht bedrückt erleben.
Als sie das Quartier betrat, schrak sie zurück: Es war völlig verwüstet. Die Flakons auf ihrem Toilettentisch waren zerbrochen, das Bettuch zerrissen, die Kleider aus den Truhen geräumt, Stühle umgestoßen, Spiegel zerschmettert, und über allem lag eine weiße und rosa Schicht von Puder wie duftender Staub. Das Einzige, was unversehrt geblieben war, stand vor dem Fenster und blickte hinaus: Inés. Mit ihren Händen nestelte sie an dem Rosenkranz herum, der um ihren Hals hing. Immer wenn sie aufgeregt war, berührte sie die einfachen Holzperlen mit ihren Händen.
Was ist passiert, wollte Carlotta fragen, aber da sie wusste, dass sie keine Antwort erhalten würde, schwieg sie. Sie ahnte ohnehin, dass das Chaos von Inés verursacht worden war. Ein Dieb hätte nur geklaut und jeden Lärm vermieden, und Inés hätte einen Dieb auch niemals in einen Kampf verwickelt, dafür war sie viel zu teilnahmslos. Hätte sie bloß die Tür verriegelt! Das Schlimme war, dass Inés auf das Geräusch von Riegeln panisch reagierte, und darum versuchte Carlotta, die Tür so selten wie möglich abzuschließen.
Sie wandte sich ihr zu, nahm sie in die Arme und streichelte ihren Hinterkopf. Arme Inés, dachte sie. Inés war wieder einmal durch ihre Hölle gegangen, so nannte Carlotta die seltenen Anfälle der jungen Frau. Carlotta war zweimal in den letzten Jahren dem Hals von Inés zu nahe gekommen – einmal um eine Tinktur gegen Halsentzündung aufzutragen, einmal um ihr den Hals zu waschen -, und jedes Mal war Inés durch die Hölle gegangen, hatte einen Anfall bekommen und wild um sich geschlagen wie in Todesangst.
Manchmal dachte Carlotta, dass Inés in solchen Situationen zu allem fähig wäre.
Jemand hatte sie heute Morgen berührt, und Carlotta fühlte, dass es nicht in böser Absicht geschehen war. Sie würde einiges erklären müssen, wem auch immer. Aber sie musste aufpassen, nicht zu viel zu erklären.
Als Carlotta über Inés’ Schulter zur Wand sah, stach es ihr ins Herz. Die Zeichnungen, die Carlotta so viel bedeuteten, die eine Erinnerung an geliebte Menschen und schöne Zeiten waren, lagen zerfetzt auf dem Boden.
»O Inés«, stöhnte sie. Sie durfte ihr nicht böse sein – Inés konnte nichts dafür -, aber insgeheim war sie es doch ein bisschen. In der Verzweiflung ist man nicht gerecht.
»O Inés, wann wird es endlich, endlich vorbei sein? Irgendwann muss es doch ein Ende haben.«
7
Der Bruder Bibliothekar der Abtei von San Lorenzo war so kühl und trocken wie der Saal, in
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