Die Glasmalerin - Walz, E: Glasmalerin
dem er seinen Dienst tat – und fast ebenso alt, wie es Sandro schien. Er sah Sandro wie einen Bücherwurm an, voller Abneigung, aber auch mit einem gewissen Respekt vor der Berührung. Er erhob keinen Einspruch, als der Visitator Sandro Carissimi sein Heiligstes betrat, aber freundliche Zustimmung sah anders aus.
Gleich nach dem Requiem im Dom hatte sich Sandro, begleitet vom Glockengeläut, auf den Weg zurück zur Abtei San Lorenzo gemacht, in der er sein kleines bescheidenes Quartier neben der Zelle von Luis hatte. Das Benediktinerkloster lag ein kleines Stück außerhalb der Stadtmauern, auf einer von Wiesen bewachsenen Insel inmitten der Etsch. Es war weder groß noch bedeutend, und das untere Drittel der Mauern war von grüner schimmliger Fäulnis bedeckt, die vom gelegentlichen Hochwasser herrührte und den Eindruck erweckte, eines Tages das Kloster unter sich begraben zu wollen. San Lorenzo enthielt allerdings die einzige nennenswerte Bibliothek im Umkreis eines Tagesritts, und Sandro, der sich nicht erlauben durfte, Trient zu verlassen, hoffte, hier ein paar Antworten zu erhalten.
Vorsichtig drang Sandro ins Innere der Bibliothek vor. Es war ein enger, unübersichtlicher, wenig ansprechender Ort, in dem es nach dem Staub von Jahrhunderten roch. Das Tageslicht fiel durch eine Reihe romanischer Fenster, die sich knapp unterhalb der Decke befanden und die Gänge der Bibliothek nur wenig erhellten. Dadurch wirkte alles fahl und grau. Sandro irrte ziellos durch die Gänge und entdeckte schließlich ein Stück entfernt zwei brennende Kerzen auf einem Tisch. Als er dort ankam, sah er Luis, der hinter einem Stapel Bücher saß und mit einem Dominikaner sprach. Die beiden machten ernste, ein wenig traurige Mienen, so als dächten sie über einen gemeinsamen Freund nach, den sie hatten beerdigen müssen.
»Bruder Luis! Dich hätte ich hier nicht erwartet.«
»Bruder Sandro! Was für ein Zufall!« Luis sprang überrascht auf und schien kurz in Verlegenheit zu geraten. »Ich – ich mache mir einige abschließende Notizen. Ab morgen sitze ich im Dom, dann habe ich kaum noch Zeit, meine Rede vorzubereiten. Ehrwürdiger Vater«, sagte er, an den Dominikaner gewandt, »darf ich Euch meinen Assistenten vorstellen, Bruder Carissimi. Bruder, das ist Gaspar de Cespedes, der Inquisitor von Sevilla und vermutlich schon bald der nächste Großinquisitor der spanischen Inquisition.«
Sandro verneigte sich und ergriff die Hand zu einem angedeuteten Kuss. Gaspar de Cespedes’ Hände waren weich wie warmes Wachs und verströmten einen angenehmen Duft. Die meisten Inquisitoren, denen Sandro begegnet war, rochen nach Kellern, nach Pech, nach Schimmel, nach den muffigen, unterirdischen Orten, wo sie sich oft aufhielten. Gaspar de Cespedes nicht. Er war eine elegante Erscheinung von etwa Mitte dreißig, seine Augen leuchteten sanft und grün aus dem glatten Gesicht mit der typischen südspanischen Patina, die auch Luis’ Haut eigen war. Die schwarzen Locken fielen ihm wohlgeordnet in den Nacken, und seine Finger spielten unentwegt miteinander wie selbstständige Wesen. Für Sandros Geschmack blinzelte er etwas zu häufig und etwas zu geziert.
Welchen Grund hatte dieses Treffen? Die spanischen Inquisitoren galten als konservativ und einer Kirchenreform abgeneigt, waren aber andererseits keine Freunde der Päpste, die ihnen ihrer Meinung nach viel zu oft in ihre Angelegenheiten hineinredeten. Luis wollte vielleicht wissen, woran er mit Cespedes war – in diesen Tagen führte er gewiss etliche solcher Gespräche. Oder es war eine zufällige Begegnung.
Es entstand ein kurzes, verlegenes Schweigen. Vermutlich hatte Sandro die Besprechung unterbrochen.
»Wie kommst du voran?«, fragte Luis, bevor Sandro sich unter einem Vorwand wieder verabschieden konnte.
»Es geht so«, sagte Sandro. »Ich bin auf der Suche nach einem Buch über Symbolik.«
»Ihr müsst wissen, ehrwürdiger Vater«, erklärte Luis, »dass Bruder Carissimi im Auftrag Seiner Heiligkeit den gewaltsamen Tod von Bischof Bertani untersucht.«
»Ein betrübliche Sache, wirklich zu betrüblich«, sagte Gaspar de Cespedes näselnd und bewegte die Finger, als falte er einen Fächer auf. »Gibt es schon einen Verdächtigen?«
Sandro verneinte.
Gaspar de Cespedes warf einen prüfenden Blick auf seine Fingernägel. »Ihr solltet die Möglichkeit in Betracht ziehen, Bruder Carissimi, dass Ihr es mit dem Anschlag eines Ketzers zu tun habt. In Italien tut man viel zu wenig
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