Die Glasmalerin - Walz, E: Glasmalerin
Jesuit werden zu wollen. Die Überraschung war perfekt. Sandro, der leichtlebige Jüngling, ein Mönch! Sie drängten ihn zu warten, bis ihr Vater von seiner Reise zurückkehrte, sie klopften aufgeregt bei ihrer Mutter an, doch ihre Tür blieb verschlossen. Sandro verabschiedete sich noch am selben Tag von seinen Schwestern. Seine Mutter sah er nicht wieder, nicht einmal, als er sich auf der Straße umdrehte und zu ihrem Fenster hinaufblickte. Ihre Stimme in der Dunkelheit an seinem Bett war das Letzte, was er je von ihr gehört, und ihr Schatten neben dem Bett das Letzte, was er je von ihr gesehen hatte.
Die Krummbeinige genoss ihren Auftritt. Sie habe es die ganze Zeit über gewusst, dass die Hure nicht einfach nur eine Hure sei, rief sie, als die Soldaten versuchten, die Tür aufzubrechen. Niemand hörte ihr zu, während sie ein wichtiges Gesicht machte und alles erzählte, was sie über Carlotta wusste, und auch solches, was sie nicht wusste, sich aber zusammengereimt hatte. Abwechselnd wurde Carlotta von ihr zur Spionin, Diebin und Hexe gemacht.
Antonia stand ein paar Schritte abseits im Gang. Sie befand sich in einem seltsamen inneren Zustand, den sie nicht kannte. Sie fühlte so viele Dinge gleichzeitig, dass sie sich auf kein Gefühl konzentrieren konnte. Matthias stand neben ihr, hielt ihre Hand und verfolgte das Geschehen, wobei er mehr auf Sandro achtete als auf alles andere. Sandro wiederum blickte geistesabwesend aus dem schmierigen Flurfenster, durch dessen undichte Stellen ein kühler Luftzug strömte, der seine Kutte bewegte. Irgendwie war es eine unwirkliche Szene: Eine törichte Alte, ein Hauptmann im Harnisch, der seine Männer antrieb, eine Tür, die unter den Attacken der Wachen langsam nachgab, ein schweigender Mönch, der Mann an ihrer Seite und schließlich sie, die alles beobachtete wie ein Theaterstück. Der ganze Vormittag war unwirklich gewesen, das Gewitter draußen und das Gewitter drinnen, die Feindschaft zweier Brüder, der Mordverdacht zuerst gegen Matthias und nun gegen Carlotta … Alles schien zusammenzuhängen, ohne dass es zusammenpasste. Es war ein verrückter Vormittag, verrückte Tage überhaupt.
Die Tür barst nicht, sondern viel krachend in einem Stück in den Raum hinein. Durch den aufwirbelnden Staub wurde eine Gestalt sichtbar.
»Da ist sie«, rief der Hauptmann. »Festnehmen.«
»Das ist sie nicht«, rief die Krummbeinige, und Antonia stimmte ihr ausnahmsweise zu.
Das Mädchen von gestern Morgen saß wieder auf dem Stuhl. Ihr Oberkörper bewegte sich im schnellen Rhythmus vor, zurück, vor, zurück, den Blick starr zu Boden gerichtet. Sie gab brummende oder stöhnende Geräusche von sich, lauter werdend, als die Wachsoldaten sich ihr langsam wie einer Giftschlange näherten. Kurz sah das Mädchen zu ihnen hin, dann wieder nach unten, und das Brummen und Stöhnen wurde lauter.
»Eine Hexe«, flüsterte die Krummbeinige.
Die Wachsoldaten dachten wohl ebenso. Fußbreit um Fußbreit schlichen sie sich an, die Lanzen in Bereitschaft. Keiner wusste, was als Nächstes passieren würde.
»Worauf wartet ihr?«, herrschte Hauptmann Forli sie an. »Ihr werdet ja wohl noch ein schwachsinniges Mädchen festnehmen können.«
Sandro ging dazwischen. Auf ihn hatte man in dem Trubel nicht mehr geachtet, jetzt drängte er sich am Hauptmann vorbei in den Raum.
»Rührt sie nicht an. Hört ihr, zurück mit euch!«
»Was soll das?«, fragte Hauptmann Forli rau, packte Sandro am Arm und drehte ihn herum. »Die Verrückte muss festgenommen werden. Sie ist verdächtig.«
»Wieso?«
»Das fragt Ihr noch? Sie hält sich in der Kammer der Konkubine auf. Und sie ist nicht richtig im Kopf.«
Sandro ignorierte den Hauptmann und wiederholte seinen Befehl.
Erleichtert wichen die Soldaten einen Schritt zurück, während Sandro sich langsam dem Mädchen näherte. Er beugte sich vor, um sich kleiner zu machen.
»Kannst du mich hören? Ich weiß nicht, ob du mich verstehen kannst. Wenn ja, gib mir ein Zeichen.«
Das Mädchen gab kein Zeichen, es schaukelte unvermindert vor und zurück.
»Ich heiße Sandro. Ich bin gekommen, um dich zu besuchen.« Er sank auf die Knie und rutschte Zentimeter um Zentimeter weiter vor.
»Wir müssen ihn davon abbringen«, flüsterte Antonia Matthias zu. »Ich bin ihr gestern begegnet, genau hier, und da bin ich ihr zu nahe gekommen. Sie ist nicht ungefährlich, wenn man nicht weiß, wie man mit ihr umzugehen hat. Vielleicht ist sie bewaffnet, wer
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