Die Glasmalerin - Walz, E: Glasmalerin
weiß?«
»Sandro ist selber schuld, wenn er hier den Helden spielen will«, antwortete Matthias und nahm Antonia fester an die Hand. »Er hätte die Soldaten die Arbeit machen lassen sollen.«
Keiner sprach. Der Hauptmann, die Mannschaften, die Krummbeinige, sie alle sahen atemlos zu, wie Sandro sich dem Mädchen auf Armeslänge näherte.
»Ich heiße Sandro«, wiederholte er, und nie hatte Antonia eine sanftere Stimme gehört.
»Ich bin hier, um dir zu helfen. Diese Männer werden dir nichts tun. Ich verbiete ihnen, dir etwas zu tun. Sie dürfen dich nicht berühren.«
Sandro gab dem Hauptmann die Anweisung, den Raum zu verlassen. Etwas vor sich hin grunzend, gehorchte er. Vor der Tür reckten sie alle die Köpfe, auch Antonia.
»Siehst du«, sagte Sandro. »Sie tun dir nichts. Sie dürfen dir nichts tun, ich habe es ihnen verboten. Sieh mich an. Wie heißt du? Ich bin Sandro. Ich bin ein Freund.«
Das Mädchen sah Sandro nicht an. Nichts änderte sich, außer dass sie häufiger zur Tür blickte.
»Alle umdrehen«, rief Sandro ihnen zu. »Ich will, dass ihr alle euch umdreht.«
Nur langsam gehorchten sie dem seltsamen Befehl. Als Erstes die Soldaten und Antonia, dann – widerwillig – der Hauptmann, schließlich die Krummbeinige. Matthias drehte sich nicht um.
»Alle!«, rief Sandro, aber erst auf ein Zeichen von Antonia gab Matthias nach.
Antonia hörte, wie Sandro durchatmete. Sie hörte, wie alles Zittern und alle Angst aus seiner Stimme wichen.
»Siehst du, sie gehorchen mir. Willst du mir jetzt deinen Namen sagen? Ich will dich nicht Mädchen nennen. Soll ich dich so nennen? Hättest du das gerne? Oder soll ich dich Margherita nennen? Das ist ein schöner Name: Margherita. Eine Cousine von mir heißt so. Sie ist lustig, diese Margherita. Immerzu spielt sie anderen Streiche, ich habe sie sehr lieb. Einmal hat sie mir einen Tintenfisch auf den Kopf gesetzt. Er war frisch vom Markt, und sie hat ihn aus der Küche gestohlen, sich hinter einer Tür auf einen Hocker gestellt, und als ich hereinkam, hat sie ihn mir auf den Kopf gesetzt, so dass die Arme des Tintenfischs mir im Gesicht und im Nacken hingen. Ich habe mich natürlich furchtbar erschreckt, aber dann haben wir gelacht. Zur Versöhnung hat sie mir einen Kuss gegeben, hierhin, genau hier.«
Antonia blickte heimlich über die Schulter. Sandro zeigte auf seine Wange, und das Mädchen hörte auf, zu stöhnen und den Oberkörper zu bewegen. Sie hielt inne. Dann bewegte sie den Kopf, zögernd und ruckartig, so wie sich eine Zugbrücke senkt – und endlich sah sie ihn an. In ihrem Ausdruck lag nichts Feindseliges. Sie forschte, ihre Blicke wanderten über das Gesicht, als wäre es eine Landschaft, die man durch den Dunst erkennen möchte. Er war ihr jetzt sehr nahe, er lächelte. Er hörte nicht auf, sie anzulächeln.
In seinen schwarzen Augen lag plötzlich viel Zärtlichkeit. Sie blickten heiter. Das Mädchen streckte die Hand aus, eine kleine, bleiche, zitternde Hand. Mit dieser Hand berührte sie ihn an der Stelle, wo Margherita ihn geküsst hatte, berührte seine Wange, bettete sie dort zur Ruhe. Das Zittern hörte auf. Sie sahen sich an, sehr lange, und dann flog über dieses leere, dieses unbewohnte Gesicht des Mädchens eine Regung, eine lautlose Bewegung der Lippen. Sie öffnete den Mund und zeigte ihre Zähne, ganz kurz, so wie Säuglinge manchmal stumm lachen, wenn man ihnen ein lustiges Geräusch vormacht, und gleich danach wieder ernst und neugierig werden. Das stumme Lachen ging schnell vorbei, aber die Hand blieb eine Weile auf Sandros Wange liegen.
Es war das Schönste, das Antonia jemals gesehen hatte.
Luis kam, ohne anzuklopfen, in Sandros Amtsraum, so wie es auch im Kolleg unter Mitbrüdern gehandhabt wurde. Seit Matthias’ Verhaftung im Dom hatten sie sich nicht mehr gesehen. In Luis’ Gesicht waren drei Sätze zu lesen: 1. Was hast du da nur angerichtet! 2. Du hättest mich um Rat fragen sollen! 3. Du hättest meine Rede auf dem Konzil hören sollen!
Seine Rede musste tatsächlich brillant gewesen sein. Die Aufmerksamkeit, die sie hervorrief, konkurrierte ernsthaft mit der Verhaftung und Freilassung von Matthias Hagen und übertraf sie sogar. Die Konservativen hatten mit dem Applaudieren gar nicht aufhören wollen, und zahlreiche Unentschlossene, die am Vormittag noch Hagen beklatscht hatten, beklatschten am Nachmittag Luis de Soto. Er hatte Matthias’ Absicht, die Bischöfe in der Frage der Residenzpflicht zu
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