Die Glasmalerin - Walz, E: Glasmalerin
aufsteht. Dieser Körper ist eine warme Landschaft mit wenigen Unebenheiten: die Rippen wie wellige Hügel, der Nabel ein kleiner See, die Brustwarzen zwei harte Felsquader. Ansonsten Zartheit. Er lächelt, wenn er diesen Körper berührt. Er ist glücklich. Das Glück fließt durch die Fingerspitzen in ihn hinein.
Das warme Bett zu verlassen, behagt ihm nicht. Der Boden ist kalt, der Kamin wärmt kaum. Er nimmt den Stummel einer Kerze und sucht sich mit dessen Hilfe den Weg durch das Quartier. Vorsichtig öffnet er die Türen, ganz langsam, damit sie nicht knarren. Zwar ist die Sonne eben erst untergegangen, aber er verhält sich trotzdem so, als wäre es mitten in der Nacht. Seine Rücksicht auf andere begleitet ihn schon sein ganzes Leben.
Als er sich auf den Nachttopf setzt, erfasst ihn ein Schauer, denn der metallische Rand des Behälters scheint sich wie ein Eiszapfen in sein Fleisch zu bohren. Er hasst das Geräusch, das der Urin verursacht, als er in den Topf sprudelt. Er wünscht sich zurück ins Bett und ist froh, als er endlich fertig ist.
Er geht den gleichen Weg zurück, den er gekommen ist, und wieder ist er außerordentlich vorsichtig. Je näher er dem Schlafgemach kommt, umso stärker kehrt sein Lächeln zurück.
An der letzten Tür, deren Klinke er so behutsam ergreift, als sei es der zarte Körper, den er im Bett zurückgelassen hat, spürt er etwas in seinem Rücken. Zuerst Schmerz und unsagbare Kälte. Doch dann, nur einen Lidschlag später, ein Gefühl, wie er es nicht kennt: Seine Brust wird von einer gewaltigen Wärme durchströmt, und er fühlt sich wohl. Es ist verrückt. Er weiß, dass sich etwas in seinen Rücken gebohrt hat, doch für eine Sekunde spielt das keine Rolle, und er fühlt sich tatsächlich wohl.
Ohne sich umzudrehen, wankt er in das Schlafgemach. Seine Beine tragen ihn noch ein paar Schritte, dann schwinden ihm die Sinne. Das Letzte, was er hört, ist ein entsetzter Aufschrei aus dem Mund, den er noch vor wenigen Minuten liebkost hat. Das Letzte, was er sieht, ist ein erschrecktes Augenpaar. Und das Letzte, was er fühlt, ist eine heiße Flüssigkeit, die ihm über das Kinn läuft.
Antonia verließ das Atelier und machte sich auf den Weg durch den Palazzo Rosato, um nach Inés zu sehen. Ihr Vater hatte ihr alles über sie erzählt, was er wusste, und den ganzen Nachmittag über hatten sie sich gemeinsam um sie gekümmert. Antonia war seltsamerweise nicht nervös gewesen. Seit sie Inés hatte lächeln sehen und an einem Fenster arbeitete, das von Inés inspiriert worden war, hatte sie die Furcht vor ihr verloren, und es machte ihr wenig aus, allein zu ihr zu gehen.
Hieronymus war vor zwei Stunden, nachdem sie gestritten hatten, spazieren gegangen. Sie hatte ihre Enttäuschung geäußert, dass er über ihren Kopf hinweg eine Zusicherung für Toulouse gegeben hatte; er wiederum zeigte sich gekränkt, dass sie eine mögliche Ehe mit Matthias dem Auftrag von Erzbischof Villefranche vorziehen wolle.
»Wenn Toulouse ein Erfolg wird, stehen dir alle Kirchenpforten offen: Reims, Köln, Straßburg. Und das alles willst du an einem möglichen Einspruch von Matthias Hagen scheitern lassen? Gott im Himmel, steh mir bei! Mir scheint, der Fluch, mit dem Bertold mich auf dem Sterbebett belegt hat, entfaltet seine Wirkung.«
»Liebe ist kein Fluch.«
»Du liebst das Glas, Antonia. Du hast eine sinnliche Beziehung zu unserer Kunst, wie nur wenige Meister sie haben. Dass du eine Frau bist, ist deine große Stärke.«
»Ich werde nächstes Jahr dreißig Jahre alt. Glas allein füllt kein Leben aus.«
»Du hast dein Leben auch bisher anderweitig auszufüllen verstanden, und ich habe das stets respektiert, weil du wie jeder Mensch Bedürfnisse hast.«
Die Anspielung auf ihre Liebschaften zeigte, dass das Gespräch offener denn je zwischen ihnen verlaufen würde.
»Matthias«, sagte sie, »ist eine Kategorie für sich. Ich habe ihn schon mein ganzes Leben lang geliebt, und jetzt ist er hier. Er ist zurück. Ich werde ihn nicht noch einmal aufgeben.«
»Hat er dir Anlass gegeben, auf eine Ehe zu hoffen?«
»Jawohl.«
»Nun, mich hat er noch nicht gefragt, und ich bin wenig geneigt, dich einem Protestanten zuzuführen, der dich nötigen wird, die Glasmalerei aufzugeben.«
»Andere Väter wären froh, wenn ein wohlhabender Mann mit Zukunft seiner Tochter den Hof macht.«
»Andere Väter haben auch keine Tochter, wie ich eine habe. Ich habe deine Entwicklung gesehen, du bist mir
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