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Die Glaszauberin pyramiden1

Die Glaszauberin pyramiden1

Titel: Die Glaszauberin pyramiden1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: douglass
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die Zeit für etwas Anspruchsvolleres ist gekommen.«
    Wir saßen an einem der hohen Fenster. Es stand weit offen und ließ die Nacht herein. Vor der Veranda war ein achteckiger Teich voller Lilien und Blumen, und die kühle Brise wehte einen sanften Duft herein, der sich mit dem Geruch des Öls auf Boaz’ Händen und Füßen vermengte. Es war sehr still, und schwer vorstellbar, daß wir von einer Siedlung mit Tausenden von Sklaven umgeben waren.
    Boaz stand von seinem Stuhl auf und ging zu einer der Truhen. Er trug nur ein langes Tuch aus leuchtend blauem Stoff, das an den Hüften verknotet war und in lockeren Falten bis zu seinen Knöcheln fiel. Er trug keinen Schmuck, kein Metall. Ich hatte ihn noch nie zuvor so leicht bekleidet gesehen, und es beunruhigte mich. Dieser Magier tat nichts ohne Grund.
    Er suchte eine kleine, von einem Flachsfaden zusammengehaltene Schriftrolle heraus, brachte sie mir, setzte sich wieder und lehnte sich in seinem Stuhl zurück. Das einzige Licht kam von einer Lampe an der Wand hinter ihm und dem strahlenden Mondlicht, das durch das Fenster fiel. Sein Gesicht lag im Schatten.
    »Lies!«
    Ich fummelte an dem Knoten herum, bis sich der Faden löste und entrollte das Schriftstück mit zitternden Fingern, denn er hatte mich noch nie zuvor etwas so Kostbares halten lassen. Der Papyrus war dünn und doch fest, und die Schriftzeichen waren in kühnen Strichen ausgeführt.
    Ich erkannte die Schrift. Es war Boaz’, aber ohne die Schönheit, mit der ich ihn zuvor hatte schreiben gesehen.
    »Ich habe das geschrieben, als ich neun war«, sagte er. »Lies!«
    Ich überflog die Worte. Zuerst konnte ich nicht viel damit anfangen, dann begriff ich, daß es auf erschreckende Weise einen Sinn ergab.
    Ich räusperte mich und las, betete, daß meine Stimme fest blieb und ihn nicht durch Stottern verärgerte.
     
     
    Eins, drei, neun, einundachtzig. Eine Formel in sich selbst. Drei Reihen aus drei, neun Reihen aus neun, das Quadrat der Schönheit, aus dem noch mehr Schönheit geboren wird. Das Leben ist von der Empfängnis bis zum Tod voller Zahlen, erhebt sich aus Eins und geht darin auf. In Zahlen liegt Schönheit. Ihre Schönheit ist die Ordnung, und ihr innerstes Wesen ist berechenbar. Alles andere ist von Übel. Einundachtzig, neun, drei, Eins. Das Leben besteht aus Zahlen, das ganze Leben kann auf Zahlen reduziert werden, Leben ist nichts als Zahlensystem. Es gibt nichts anderes als Zahlen. Nichts. Nichts als die Eins.
    Ich hielt inne. Ich konnte nicht weiterlesen. Tränen füllten meine Augen.
    »Ich war neun, als ich das geschrieben habe. Das Alter der Schönheit, glaube ich, denn die Neun ist selbst eine besondere Zahl. Ein Alter, in dem ein Kind begreift.«
    Seine Stimme klang wie aus weiter Ferne, in Erinnerungen verloren. »Sag mir, was du davon hältst, Tirzah.«
    Ich sagte die Wahrheit. »Ich finde es traurig, Exzellenz.«
    »Warum?«
    Ich zögerte.
    »Sprich. Habe keine Angst.«
    »Ich finde es traurig, Exzellenz«, sagte ich langsam, »daß ein solch kleiner Junge das Leben so nüchtern und öde empfindet und beschreibt.«
    Ich wartete auf den Ausbruch, aber er kam nicht. Statt dessen lehnte er sich zu mir herüber und nahm mir die Rolle aus der Hand. Er überflog den ersten Absatz, dann rollte er sie zusammen und legte sie neben sich auf den Boden.
    »Ich verstehe nicht, was du damit meinst«, sagte er, und ich fragte mich, ob er sich einen Scherz mit mir erlaubte. Aber sein Gesicht blieb im Schatten verborgen und verriet mir nichts. »Ich verstehe nicht, warum du diese Worte nüchtern findest. Sind Zahlen denn nicht schön? Beantwortet einem denn ihre innige Betrachtung nicht die Fragen des Lebens?«
    »Exzellenz, ich finde es traurig, daß ein Junge von nur neun Jahren so etwas schreiben konnte. Ein Kind in diesem Alter sollte die Wunder des Lebens entdecken, draußen mit seinen Freunden spielen.«
    »Und hast du in diesem Alter draußen mit deinen Freundinnen gespielt?«
    Ich schwieg.
    »Nein, das hast du nicht. Du warst drinnen und hast die Schönheiten des Glases entdeckt, während ich drinnen die Zahlen und ihre Formeln studiert habe. Du hast Glasnetze geschnitten, ich habe gerechnet. Wer von uns hat recht, Tirzah? Wer hat die wahre Schönheit entdeckt?«
    Er steuerte die Unterhaltung auf ein gefährliches Gebiet, und ich versuchte, ihn davon abzuhalten. »Exzellenz, wie können Zahlen, kalte Formeln die unzähligen Wunder des Lebens erklären, das Leben selbst erklären?«
    Die

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