Die Glaszauberin pyramiden1
Frage war gewagt, aber ich hatte sie respektvoll und leicht verblüfft gestellt, und er akzeptierte sie.
»Zahlen sind die Bausteine des Lebens, Tirzah. Alles wird von Zahlen beherrscht, und alles entspringt der Eins und endet auch wieder in der Eins. Laß es mich dir erklären.«
Er stand auf und nahm meine Hand, zog mich hoch. Ich verkrampfte mich, aber er führte mich nur zur Tür hinaus.
Kiamet verschwand von seinem Posten und dann waren wir ganz allein.
Boaz hielt meine Hand fest. »Siehst du diese Kletterpflanze?«
Ich nickte. Vor uns stand ein großer Tontopf mit einer dickstämmigen Kletterpflanze. Der Stamm wuchs eine Verandasäule hinauf. Blätter zweigten davon ab, bis er sich in der Dunkelheit jenseits des Lichtes verlor.
»Sieh.« Seine Stimme klang sehr leise in meinem Ohr, und ich konnte die Wärme seines Körpers spüren. »Ganz unten am Stamm ist ein Blatt. Nicht wahr?«
Ich nickte.
»Und dann bildet der Stamm einen Knoten, und dann kommt ein weiteres Blatt. Am zweiten Knoten ist ein weiteres Blatt. Beim dritten ist wieder ein Blatt. Dann fünf Knoten beim nächsten Blatt, dann acht, dann dreizehn, dann… nun, ich könnte damit fortfahren. Aber die Anordnung ist eins, eins, zwei, drei, fünf, acht, dreizehn, einundzwanzig und so weiter. Vorhersagbar. Verstehst du die Vorhersagbarkeit dieser Anordnung?«
»Ja«, sagte ich langsam. »Die nächste Zahl ergibt sich aus der Addition der beiden vorherigen Zahlen.«
»Ja, sehr gut. Und nun sieh dies hier.«
Er zog mich zu einem Busch, der ein Stück weiter wuchs. Er bückte sich und brach einen kleinen Zweig ab. »Schau, hier zweigt er von dem Hauptstamm ab, dann teilt er sich zweimal, dann dreimal, dann fünfmal…«
»Aber ich dachte, es wäre eins, eins und dann…«
Er lächelte. »Der Hauptstamm ist die erste eins, dieser abgebrochene Stamm ist die zweite eins, der sich dann wiederum teilt.«
Er warf den Zweig weg. »Es gibt noch andere Anordnungen in der Natur. Viele Pflanzen teilen sich in eins, zwei, vier, acht, sechzehn und so weiter. Ist das nicht wunderbar? Leben wird von Zahlen diktiert. Dafür gibt es überall Beispiele.«
Er hielt inne und betrachtete mein Gesicht im Mondlicht. »Aha, ich sehe, du glaubst mir immer noch nicht. Wir sind aus nichts als Zahlen zusammengesetzt, und unsere Formen werden von mathematischen und geometrischen Formeln diktiert – sind nicht abhängig von den Launen von Göttern oder dem Schicksal.«
»Ich kann Euch nicht glauben, Exzellenz.«
»Dann werde ich es dir beweisen.« Er hob einen meiner Arme und strich langsam mit den Fingern von meinem Halsansatz über den Perlenkragen des Kleides den Arm entlang bis zur Spitze meines Mittelfingers. Seine Berührung war sehr sanft.
»Von deinem Halsansatz bis zur Spitze deines längsten Fingers mißt dein Arm genau die Hälfte deiner Körpergröße.
Wie deine Beine. Ganz genau. Aber, Tirzah, gemessen von der Spitze deines schönen Kopfes bis zu den Sohlen deiner Füße, wo teilt sich dein Körper genau in zwei Hälften?«
Ich schwieg.
Boaz’ Hand glitt meine Taille entlang, fest und sehr warm. Er zog mich sanft an sich.
»Hier nicht, Tirzah.« Seine Hand strich langsam tiefer über meinen Bauch, kräuselte dabei den Stoff meines Leinenkleides. Mich fröstelte. »Ob Mann oder Frau, ihre Körper teilen sich in der Höhe der Organe für sexuelles Vergnügen und Fortpflanzung.«
Ich glaubte, er würde mit der Hand tiefer wandern, aber nur ihr Druck verstärkte sich. Ich konnte den Blick nicht von seinem Gesicht wenden.
Er lachte leise. »Passend, nicht wahr? An der Stelle, an der ein Körper genau halbiert wird, vereinigen sich zwei Körper, um einen neuen zu bilden, und schließlich wird sich ein Körper teilen, um zwei Leben zu erschaffen. Vielleicht ist es doch nicht verwunderlich, daß manche Magier eine Frau suchen, um die vollkommene Vereinigung mit der Eins zu finden.«
Er hob die Hand von meinem Bauch zu meinen Brüsten. »Und an der Brust wird der Körper wieder halbiert, geviertelt. Soll ich fortfahren? Es gibt noch andere Stellen, die wir erforschen könnten.«
Ich konnte nicht sprechen. Ich hatte Angst, daß was auch immer ich sagte, wie auch immer ich mich bewegte, ihn nur noch weiter ermutigen würde, aber zugleich… Er war so nah, seine Hände so sicher, und das Öl, das ich einmassiert hatte, duftete so stark. Ich konnte seinen Herzschlag durch seine Rippen spüren. Ich fragte mich, ob er mich in dieser Nacht schließlich doch in
Weitere Kostenlose Bücher