Die Glaszauberin pyramiden1
fuhr wieder darüber, und das Glas flammte blau auf, dann rot, golden und grün, als ich nacheinander die Pulver hinzufügte.
Die Farben sangen leise und süß, und ich ließ mich von ihnen verführen.
»Meine Freunde«, flüsterte ich, meiner Stimme kaum bewußt, und ich sah in die Zuflucht im Jenseits.
Tirzah!
Ich weinte, denn das war alles, was ich im Moment tun konnte, und die Gegenwart der Soulenai hüllte mich ein.
Tirzah! Was ist passiert?
Endlich konnte ich sprechen, und ich erzählte ihnen alles, das geschehen war, seit unser Plan, Boaz zu töten, so schrecklich schiefgegangen war. Es war eine Erleichterung, einfach reden, alles erzählen zu können, und als ich geendet hatte, stellte ich fest, daß meine Tränen getrocknet waren und ich mich ruhig und erfrischt fühlte.
Ihr habt versucht, Boaz zu ermorden? Das war voreilig. Es würde gefährlich für euch sein, es erneut zu versuchen, sagten die Stimmen.
Das war kein Ratschlag. Es kam einem Befehl näher, als ich das von den Soulenai kannte.
Und wir fuhren fort, miteinander Gedanken auszutauschen.
Tirzah, wir glauben nicht, daß es so von Übel ist, daß Boaz dich an seine Seite gerufen hat.
Aber ich kann nichts Gutes darin erkennen…
Es ist nicht immer einfach, den Grund oder das Gute in einem Grund zu erkennen, Tirzah. Halte durch. Warte und sieh, was er von sich enthüllt.
Was er von sich enthüllt?
Warte, Tirzah. Warte.
Er will mich benutzen. Das gefällt mir nicht. Ich glaube, er will, daß ich mich selbst und meine Freunde verrate.
Dazu sagten sie nichts.
Wenn er von sich selbst spricht, Tirzah, dann hör zu. Und du sagst, er bringt dir das Schreiben bei. Wie ungewöhnlich. Und aus welchem Grund, Tirzah?
Ich kann es nicht sagen. Aber…
Aber?
Aber vielleicht wird diese Kunst des Schreibens uns helfen zu verstehen, warum das Glas in der Kammer zur Unendlichkeit wehklagt und schreit – und vielleicht hilft sie uns sogar zu verstehen, was es ist, das über die Pyramide gekommen ist.
Erkläre uns das!
Ich hielt inne, um meine Gedanken und meinen Mut zu sammeln. Ich würde Worte sprechen müssen, die ich in der Kammer gesehen hatte. Ich erzählte den Soulenai kurz von meinem Erlebnis.
Sie hatten Bedenken, so wie ich es erwartet hatte. Aber sie wollten auch unbedingt verstehen, was mit dem Glas nicht stimmte, so daß sie mich schließlich baten, einige der Worte auszusprechen.
… aber sei vorsichtig, Tirzah, denn wir wollen nicht, daß du oder wir verzaubert werden.
Ja, ich weiß. Ich habe an zwei Stellen das Wort »Unendlichkeit« gesehen, aber das hat mich nicht überrascht.
Nein. Was sonst noch?
Ich habe das Wort »Brücke« gelesen.
Brücke? Brücke wohin?
Ich schätze, in die Unendlichkeit. Isphet hat gesagt, daß die Pyramide ihrer Meinung nach als Mittel für die Magier konstruiert wird, um in die Unendlichkeit eintreten zu können.
Eine lange Pause trat ein.
Was noch, Tirzah?
Ein Satz. Da war ein ganzer Satz, den ich lesen konnte und der einen Sinn ergab. Der ganze Rest war Kauderwelsch.
Ja? Ein Satz?
Da stand wieder das Wort »Brücke«. Es hieß »… aus dem Tal über die Brücke nach…«. Mehr stand da nicht, da die Tafel dort endete.
Die Soulenai schrien vor lauter Qualen, und ich fuhr in meiner kleinen Nische vor Schreck zusammen und schlug mir den Kopf an den Ziegelsteinen der Mauer an. Meine Sicht verschwamm, und nur mit größtmöglicher Anstrengung schaffte ich es, die Verbindung mit den Soulenai und der Zuflucht aufrechtzuerhalten.
Was habe ich gesagt? Was habe ich getan?
Nicht du, liebe Tirzah, nicht du! Oh, was haben sie getan? Was können wir tun?
Was ist denn?
Oh, Tirzah, wir haben große Angst, daß die Magier etwas entfesselt haben, daß nicht einmal sie beherrschen können. Das Tal… das Tal…
Was ist das Tal?
Ein Ort der Dunkelheit und der Verzweiflung, Tirzah. Wir gehen nie in seine Nähe, und wir wünschen auch nicht darüber zu sprechen. Kein Wunder, daß das Glas entsetzt ist. Berührt die Kammer zur Unendlichkeit das Tal? Tut sie das?
Ich verstehe nicht…
Aber sie waren fort, und ich blinzelte und schaute mich um, und ich sah, daß das Glas erkaltet und die Farben trübe geworden waren, also band ich mein Haar wieder zusammen und trat in die Werkstatt zurück.
15
»Heute«, sagte er, »werden wir uns etwas Schwierigeres vornehmen. Du kannst die Schriftzeichen gut genug schreiben und hast die läppischen Blätter gelesen, die ich dir gegeben habe. Ich glaube,
Weitere Kostenlose Bücher