Die Glaszauberin pyramiden1
sein Bett holen würde, und ich wunderte mich, daß diese Vorstellung keinerlei Abscheu in mir hervorrief.
Er berührte mein Haar.
»Du hast so schönes Haar, Tirzah. Es ist wie gebündeltes Sonnenlicht. Ich bin so froh, daß du es offen trägst, wenn du zu mir kommst.« Er nahm eine Strähne und drückte sie an seinen Mund, und ich konnte seinen Atem auf der Wange spüren. Ich schloß die Augen und gab der wohligen Ermattung meines Leibes nach. Es würde erträglich sein.
Er küßte sanft meine Stirn, dann mein Ohr, dann strich sein Mund meinen Hals entlang. »Trägst du es so offen, wenn du zu den Soulenai gehst?«
Und tatsächlich war ich zu diesem Zeitpunkt so benommen, daß ich beinahe ja gesagt hätte.
Aber ein Instinkt ließ mich zögern, als ich schon das Wort mit den Lippen formen wollte… und ich riß entsetzt die Augen auf und löste mich ganz vorsichtig aus seinen Armen. »Wovon sprecht Ihr, Exzellenz?«
»Weißt du nicht, was ich mit Soulenai meine?«
»Nein.« Meine Brüste wogten, aber ich hoffte, daß er es körperlichem Verlangen zuordnete statt Furcht.
»Auch gut, mein süßes Mädchen.« Seine Augen und seine Stimme waren eiskalt. »Denn hättest du ›ja‹ gesagt, hätte ich dich getötet.«
Oh, bei allen Göttern und Soulenai und verdammten Zahlen und verfluchten Brüchen, in diesem Augenblick haßte ich ihn! Er war so nahe daran gewesen, mich einzufangen, hatte meine eigene Schwäche dazu benutzt. Und mit diesem »Ja« hätte ich nicht nur mich selbst getötet, sondern vermutlich auch all jene, die mir am Herzen lagen.
Er ließ mich nicht aus den Augen, dann wies er mit einer einladenden Geste in den Raum. »Setz dich, Tirzah.«
Wir gingen wieder hinein, und ich setzte mich langsam und gewann mein inneres Gleichgewicht zurück.
Er setzte sich auch, und sein Gesicht verschwand wieder im Schatten. »Ich bin mir völlig bewußt, daß mich jemand an dem Tag, an dem Ta’uz starb, töten wollte. Aber ich bin eine solch vollkommene Verbindung mit der Eins eingegangen, daß die Pyramide mich beschützt. Tirzah, wer hat meinen Tod geplant?«
»Exzellenz, ich habe keine Ahnung. Es war doch sicher ein Unfall.«
»Waren es vielleicht die Elementisten, die ihre Künste in Gesholme ausüben?«
»Exzellenz!« flehte ich, und meine Stimme brach bei dem Wort. Er kannte meine Schuld, davon war ich überzeugt. Er hatte mich von Anfang an nur dazu benutzen wollen, die anderen zu überführen. Scheusal!
»Tirzah, hör mir gut zu.« Seine Stimme kam scharf und kalt aus dem Schatten. »Ich weiß genau, daß mehr als die, die gestorben sind, meinen Tod geplant haben. Wenn ich einen Beweis finde, der jemanden belastet, egal wen, dann werde ich alle hinrichten lassen. Hast du verstanden?«
»Ja, Exzellenz«, flüsterte ich.
Dann saßen wir lange Zeit wortlos da. Ich wagte keine Bewegung, atmete so flach, wie ich nur konnte.
Dann beruhigte sich Boaz, und seine Stimme wurde wärmer. »Ich habe dir Angst eingeflößt. Es tut mir leid.«
Er stand auf, und das ließ mich zusammenzucken. Aber er ging nur zu der Truhe und füllte Wein in zwei hölzerne Becher, gab mir einen und setzte sich wieder.
Er hatte mir noch nie zuvor Wein angeboten, aber als er trank und aus dem Fenster starrte, hob ich den Becher zum Mund und nahm vorsichtig einen Schluck.
Der Wein war außergewöhnlich. Es war der Wein der Adligen und besser als alles, was ich je zuvor gekostet hatte. Ich nahm noch einen Schluck. Noch immer herrschte Schweigen zwischen uns, aber jetzt war es ein Schweigen der Vertraulichkeit. Nicht kalt oder gefährlich.
Es war, als säße mir ein anderer Mann gegenüber.
Meine Wut und mein Abscheu schwanden, und ich setzte mich etwas bequemer auf dem Stuhl zurecht. Ich trank noch einen Schluck Wein und fragte mich, warum er keine Glasbecher benutzte. In diesem Raum war so wenig aus Glas oder Metall. Ich trank erneut.
»Sprich mit mir, Tirzah«, sagte er, und ich zuckte leicht zusammen.
»Exzellenz?« Ich war verwirrt. Sprechen, worüber? Wovor mußte ich mich hüten?
Sein Becher war leer, und er stand auf, um sich nachzugießen, und er brachte den Weinkrug mit, um auch meinen wieder zu füllen. »Diese Stille ist unerträglich, Tirzah, und du hast doch sicher Fragen. Stell mir eine oder zwei.«
Ich sagte kein Wort, dachte nach, vermutete eine weitere Falle. Aber Yaqob hatte mich erst kürzlich wieder bedrängt, und mir wurde klar, daß ich Boaz etwas fragen konnte, das im Zusammenhang mit unserer
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