Die Glaszauberin pyramiden1
vorausgegangenen Unterhaltung einigermaßen ungefährlich war. Etwas, das nützliche Informationen für Yaqob bringen würde, vielleicht sogar für die Soulenai.
»Exzellenz…«
»Frag, was du willst, Tirzah.«
»Exzellenz, Ihr habt mir mathematische Anordnungen gezeigt, Formeln, die die Natur beherrschen. Ich habe von einer anderen Merkwürdigkeit gehört, und ich frage mich, ob Ihr sie mir vielleicht erklären könntet.«
»Ja?«
Ich holte tief Luft, dann sprang ich mitten hinein. »Ich habe einmal gehört, wie zwei Magier kurz die Zahlen eins, drei, fünf, sieben und elf erwähnten. Vermutlich eine weitere Zahlenordnung.« Ich betete, daß Boaz die Lüge nicht aus meiner Stimme heraushörte, denn das waren die Zahlen, die Ta’uz in Zusammenhang mit der Anzahl jener erwähnt hatte, die auf der Baustelle sterben würden. Ich hoffte nur, daß sich Boaz nicht an seine Unterhaltung mit Ta’uz erinnern oder sie mit meiner Frage in Zusammenhang bringen würde. Selbst die Lüge, daß ich Magiern zugehört hatte, war schon gefährlich.
Aber Boaz schien sich nicht daran zu stören. »Du hast mir nur fünf Zahlen gesagt, und allein für sich genommen bilden sie keine Progression. Was folgt der elf?«
»Das weiß ich nicht, Exzellenz.«
»Nun, dann kann ich nicht sagen, zu welcher Ordnung diese Zahlen gehören.«
»Oh, aber ich danke Euch für Eure Mühe, Exzellenz.«
Die Lampe schwang in der Nachtbrise, und ich sah ein winziges Lächeln in seinen Mundwinkeln. »Du bist sehr höflich, Tirzah.«
Ich bin sehr vorsichtig, dachte ich, denn ich will dich nicht aus dieser Stimmung aufschrecken. Und im nächsten Augenblick fragte ich mich, warum ich »aufschrecken« gedacht hatte. Warum nicht reißen? Oder bringen? Und warum wollte ich nicht, daß diese Stimmung endete? Ich ließ den Kopf sinken, hielt es für das Beste, nichts darauf zu erwidern.
Er seufzte und ließ den Rest Wein in seinem Becher kreisen. »Diese Zahlen haben nur eins gemeinsam.«
»Ja, Exzellenz?«
»Es sind alles Primzahlen, außer der Eins natürlich, die außerhalb und jenseits aller anderen existiert.«
Ich mußte nicht so tun, als wäre ich verwirrt. »Exzellenz?«
Er setzte sich so hin, daß ich sein Gesicht jetzt sehen konnte. »Primzahlen sind natürliche Zahlen, die größer als Eins sind und nur durch sich selbst oder durch die Eins geteilt werden können. Sonst sind sie ohne Rest unteilbar.«
»Dann müssen sie eine besondere Beziehung zur Eins haben, Exzellenz.«
»Du bist sehr gut, Tirzah«, sagte er leise und mit scharfem Blick, und ich glaubte, zu weit gegangen zu sein. Aber er griff nach dem Krug und schenkte sich wiederum Wein ein. Diesmal bot er mir keinen an.
»Und du hast recht. Primzahlen stehen in einer ganz besonderen Beziehung zur Eins. Sie haben nicht nur eine direkte Beziehung zur Eins, im gewissen Sinn sind sie andere Ausdrucksformen der Eins.«
»Also… nach elf kommt dann dreizehn? Dann… siebzehn?«
»Genau, Tirzah. Und so geht es immer weiter. Vielleicht machen wir ja doch noch einen Magier aus dir.«
Sein Lächeln war jetzt breit und offen. Ich hatte ihn noch nie zuvor so heiter gesehen. Aber ich blieb weiterhin auf der Hut, denn auf diesem Weg lag Gefahr. »Und bei Primzahlen gibt es kein Ende?«
»Nein. Wie alle Zahlen reichen sie in die Unendlichkeit.«
Ich bekam eine Gänsehaut. Würde die Pyramide letztlich auch die Unendlichkeit verschlingen? Wie würde sie es schaffen, ihren Hunger zu stillen, wenn die Primzahlen in die Tausende reichten und dann in die Zehntausende?
»Du siehst sehr finster aus, Tirzah. Vielleicht habe ich dich nicht von der Bedeutung von Zahlen und Formeln im Leben überzeugen können.«
»Ich glaube, das ist mir zu hoch, Exzellenz. Ich ziehe es vor, das Leben durch weniger anspruchsvolle Mittel zu verstehen.«
»Und welche Mittel könnten das sein, Tirzah?«
Wieder überkam mich das Gefühl von Gefahr, aber er sah mich nicht mit den flachen und kalten Augen eines Magiers an. Sie blickten lediglich neugierig, als würde es ihn tatsächlich interessieren.
»Ich habe meine vilandischen Götter. Exzellenz. Sie erklären die Welt und alles, was darin geschieht, mit Mythen. Vielleicht möchtet Ihr, daß ich Euch erzähle…«
»Nicht heute nacht«, unterbrach er mich, und seine Stimme bekam einen härteren Unterton. Doch als er fortfuhr, war sein Tonfall weicher geworden. »Aber deine Götter sind sehr weit von hier entfernt. Es muß schwer für dich sein, mit ihnen in
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