Die Glaszauberin pyramiden1
Verbindung zu treten.«
»Ja«, gab ich zu. »Sie sind sehr weit weg, Exzellenz. Die Sonne ist zu heiß für sie, und es gibt keine wogenden graue Meere, in die sie eintauchen können.«
»Aber du bist sehr wißbegierig, Tirzah. Du denkst viel nach, und stellst dir sicher viele Fragen. Wie beantwortest du sie, wenn deine vilandischen Götter in diesem Land stumm sind?«
Ich sah ihm direkt in die Augen und wagte ein winziges Lächeln.
»Ich frage Euch, Exzellenz, wenn Ihr erlaubt.«
Er starrte mich an, dann lachte er schallend.
Ich war zuerst entsetzt, aber sein Lachen war ansteckend, und so wuchs mein Lächeln.
»Du hast ein schönes Lächeln, Tirzah. Es läßt deine Augen strahlen. Du solltest öfters lächeln.«
Dann beugte er sich vor und küßte mich. Er nahm mein Gesicht in die Hände, und seine Finger waren sanft, und sein Mund schmeckte nach dem Wein, den er getrunken hatte. Sowohl seine Berührung wie auch sein Kuß waren sehr zärtlich und sehr süß. Das war nicht der Mund oder die Hände des Magiers, der versucht hatte, mich auf der Veranda in eine Falle zu locken.
Dann lehnte er sich zurück, und das Licht schien so direkt in sein Gesicht, daß ich genau erkennen konnte, was sich in ihm abspielte.
Seine Augen weiteten sich, die Furcht in ihnen war echt. »Geh«, flüsterte er heiser. »Geh, verlaß mich, bevor…«
Aber ich war noch immer von der Süße seines Kusses gefangen und nicht schnell genug. Als ich zögerte, überkam ihn eine Veränderung. Der Magier trat wieder zum Vorschein, Kälte ersetzte Wärme und Humor… und dann brodelte Zorn hervor.
»Raus!« schrie er. »Hinaus mit dir!«
Und ich floh und stieß in meiner Hast den Stuhl um.
Mein Verstand war in Aufruhr, und es dauerte lange, bis ich einschlafen konnte. In dieser Nacht hatte ich mit zwei Menschen gesprochen, einem Magier und einem Mann. Und der Magier konnte den Mann nicht besonders leiden. Unter dem einschüchternden, außerordentlich gefährlichen Antlitz des Magiers war ein Mann verborgen, den ich für das genaue Gegenteil des Magiers hielt. Ich fragte mich, wann der Magier in ihm entstanden war, und ich erinnerte mich an die Schriftrolle, die er mir gezeigt hatte. Schon mit neun hatte er den Weg der Magier betreten, war von den Zahlen und der Macht der Eins verführt worden, und in den darauffolgenden Jahren hatte er so hohe Mauern errichtet, daß der Mann Boaz kaum eine Chance hatte.
Aber gelegentlich kam er an die Oberfläche. Ich dachte angestrengt nach, runzelte die Stirn in der nächtlichen Dunkelheit von Isphets Haus. Boaz würde das Gesicht des Mannes nur dann zeigen, wenn er es für sicher hielt… wenn er der Meinung war, daß ich genug Angst hatte, um nicht zu versuchen, mir diesen Vorteil zunutze zu machen.
In der zweiten Nacht bei ihm hatte ich mich bei dem Versuch, Zahlen und Schriftzeichen niederzuschreiben, sehr ungeschickt angestellt, und er hatte mich angebrüllt, bis ich mich zusammenduckte.
Dann hatte er sich wieder beruhigt und gelacht, als ich seinen Namen als »Exzellenz« schreiben wollte. Aber in dem Augenblick, in dem ich ihn Boaz genannt hatte, hatte er sich augenblicklich in den Magier zurückverwandelt und mir so lange Angst eingejagt, bis ich mich ihm wieder unterworfen hatte.
Heute abend hatte er die Wirkung seiner Drohungen an mir beobachten können, dann war er wieder er selbst gewesen, in der festen Überzeugung, daß ich eingeschüchtert war und nicht versuchen würde, einen Vorteil daraus zu ziehen, wenn er seinen wahren Charakter zeigte.
Und ich war so vorsichtig gewesen und hatte mir keine Freiheiten gegen ihn herausgenommen, als er gelacht hatte, nicht einmal, als er mich geküßt hatte. Meine Erwiderung war zögernd und mehr als vorsichtig gewesen, und ich hatte den Kuß nicht über das hinaus erwidert, was er gefordert hatte.
Dann hatte ihn etwas geängstigt, hatte den Magier so erschreckt, daß er mich wieder von sich stieß.
Es waren nicht meine Handlungen gewesen, sondern seine. Er war derjenige gewesen, der sich vergessen hatte, der die Grenzen überschritten hatte, und der Magier war außer sich vor Zorn darüber gewesen – mehr über sich selbst als meinetwegen, wie ich glaubte.
Ich trieb dem Schlaf entgegen, haßte den Magier, interessierte mich aber für den Mann. Nachdem wir miteinander gelacht hatten und unter der Süße des Kusses hätte ich vermutlich jede Frage ehrlich beantwortet.
Aber der Magier hatte nie eine Chance gehabt, die Fragen zu
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