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Die Glücksparade

Die Glücksparade

Titel: Die Glücksparade Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Martin Widmann
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selbst überrascht, dass er die beiden gegen sich aufgebracht hatte mit der Neuigkeit von den Schaustellern; vielleicht war er auch enttäuscht und wünschte sich, nichts gesagt zu haben.
    Meine Mutter war auch aufgestanden. Nur Klaus saß noch immer. Obwohl er sich sonst so gern reden hörte, blieb er stumm, ließ bloß weiter die Sohle zittern. Ein leises Tappen war das einzige Geräusch, und mir wurde klar, dass wir alle auf etwas warteten. Wir warteten, was mein Vater tun würde, und er musste das spüren. Er wirkte wie jemand, dem bei einer schwierigen Aufgabe die Zeit davonläuft, während andere ihn dabei beobachten. Sein Mund war verzerrt vor Anstrengung, aber nichts geschah. Und plötzlich sagte er:
    «Du machst dir deine Gedanken. Und ich mach mir meine.» Dann ließ er mit einem Ruck seine Finger vor der Brust knacken. «Wie spät ist es eigentlich?», fragte er. «Ihr müsst sicher auch noch packen.»
    Jetzt schnellte Klaus in die Höhe.
    «Ich hab ja gesagt, sie sind froh, uns los zu sein», sagte Petra und drängte sich an meinem Vater vorbei. Kurz sah es aus, als würde sie auf der Treppe stolpern und hinfallen, aber sie fing sich wieder. Klaus folgte ihr ins Freie. Ein paar Meter vor unserem Fenster blieben die beiden stehen.
    «Auf Wiedersehen und danke für den Besuch», sagte mein Vater von oben. Die Tür zog er so kräftig ins Schloss, dass die Gläser, aus denen wir getrunken hatten, neben der Spüle schepperten.
    Eine Weile war nichts zu hören als dieses Scheppern und Petras aufgebrachte Stimme, die von draußen zu uns hereindrang. Ich goss mir noch mehr Orangensaft ein, setzte mich auf einen der Stühle und trank. Meine Eltern schauten mich an, als wunderten sie sich, wo ich plötzlich hergekommen sein könnte, und aus irgendeinem Grund musste ich an einen Satz aus einem Film denken und sagte: «Willst du, dass ich ihn für dich umbringe?»
    Meine Mutter schlug auf den Tisch und fragte, ob ich jetzt auch noch völlig verrückt geworden sei, aber das hörte ich kaum, denn ich musste so sehr lachen, dass ich mich verschluckte und hustete. Weil ich nicht aufhören konnte zu lachen, stieg mir der Saft in die Nase, ich sprang auf und prustete und spuckte, und irgendwann fragte ich mich, ob sie womöglich recht hatte.
    «Ist schon gut», sagte mein Vater neben mir. «Das regle ich schon selbst.» Und dann legte er Zeigefinger und Mittelfinger seiner linken Hand aneinander, klappte den Ringfinger und den kleinen Finger ein und spreizte den Daumen ab. Mit der Rechten fuhr er schnell darüber und machte «krrrrrrr», und ich sah den Revolver, dessen Trommel er drehte, vor mir, als wäre er wirklich da. Ich wurde langsam ruhiger, und ich hatte das Gefühl, dass er gerade genau das Richtige getan hatte, und zugleich merkte ich, dass es nicht so gewesen wäre, hätte er irgendetwas gesagt wie «Peng» und sich unsichtbaren Rauch von seinen Fingerspitzen gepustet. Am meisten wunderte mich, dass auch meine Mutter danach nicht mehr richtig wütend wirkte. Sie griff hastig nach ihrer Zigarettenschachtel, steckte sie aber gleich wieder zurück in die Teebüchse, in der sie sie aufbewahrte, und setzte sich.
    «Von den Schaustellern höre ich zum ersten Mal», sagte sie.
    «Die Sache hab ich erst heute unter Dach und Fach gebracht», sagte mein Vater. «Es war einfach noch keine Zeit, davon zu erzählen.»
    «Ach so», sagte meine Mutter. «Aber ist jetzt Zeit?»
    Mein Vater trank einen Schluck Wasser aus der Hand, wischte sich ein paar Tropfen vom Kinn.
    «Ich hatte es nicht erwähnt, weil ich nicht über ungelegte Eier reden wollte. Seit heute Morgen ist es spruchreif. Das sind ungefähr fünfzehn Wagen. Bis jetzt standen sie im Winter immer auf einer Wiese. In Holland. Aber das geht jetzt nicht mehr, also brauchen sie was Neues.»
    «Und die Eigentümer?», sagte meine Mutter. «Was halten die davon?»
    Er seufzte.
    «Wie gesagt», fing er an, beließ es aber dabei. Stattdessen erklärte er uns, er werde nächstens für ein oder zwei Tage wegfahren, um mit einem Vertreter dieser Leute zu sprechen.
    «Wann?», fragte sie.
    «Von Donnerstag auf Freitag, wahrscheinlich», sagte er, ohne einen von uns beiden anzusehen.
    «Wie soll Simon dann in die Schule kommen oder von der Schule hierher?», sagte meine Mutter. «Etwa mit dem Taxi?»
    «Vielleicht kannst du mit dem Fahrrad fahren», sagte mein Vater zu mir. «Oder du übernachtest bei einem Freund. Oder du wirst krank und machst dir einen schönen Tag.»
    Ich

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