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Die Glücksparade

Die Glücksparade

Titel: Die Glücksparade Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Martin Widmann
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den er gerade im Mund hatte, auf der Zunge und starrte mich an.
    «Der versteht dich, aber er kann nicht reden. Der kann nur Bulgarisch», sagte der Vorarbeiter. «Der heißt Sergej. Ich sag ihm immer, mit seinem Schnauzbart sieht er aus wie ein Arsch mit Griff.»
    Ich wickelte meine Flasche in meinen Pullover, stand auf, und dann lief ich mit Benni bis zum Fluss und wieder zurück. Der Nachmittag verging genau wie der Morgen, nur noch langsamer. Um vier Uhr machten wir noch einmal eine Pause, aber ich hatte nichts mehr zu essen, deshalb nahm ich zwei Äpfel. Sie schmeckten sauer, und ihr Fruchtfleisch wurde erst süß, wenn ich länger darauf herumkaute. Danach kam der Mann in der Baseballmütze zu mir. Mit einem Holzrechen sollte ich das Fallobst unter den Bäumen zusammenziehen.
    Zuerst war ich sogar froh über die Abwechslung. Ich kämmte durch das Gras, das um die Stämme herum flach getrampelt war, und die Äpfel verklemmten sich zwischen den Zähnen des Rechens, der dadurch schwer und unbrauchbar wurde. Ich musste ihn immer wieder frei machen, indem ich ihn umdrehte und auf die Erde schlug. Es war kaum weniger anstrengend als die Pflückarbeit. Auch die Bulgaren fingen bald an, mit Rechen über die Wiese zu gehen. Am Ende hatten wir mehrere große Haufen am Wegrand aufgeschichtet. Wir gingen zu dem Laster, auf dem die Kisten gestapelt waren, und warteten, bis der Vorarbeiter zu uns kam. Er sagte, ich solle morgen früh um halb acht wiederkommen, und ich fragte nach meiner Bezahlung.
    «Dein Geld bekommst du morgen Abend», antwortete er. «Sonst seh ich dich nie wieder.»
    Ich wollte ihm widersprechen und verlangen, dass er mir gab, was mir zustand, aber ich traute mich nicht. Das Nummernschild des Lastwagens speicherte ich in meinem Handy, es war das Einzige, was ich tun konnte, außer zu hoffen, dass er morgen tatsächlich wieder da sein würde. Nachdem ich Benni losgeknotet hatte, begann ich zu rennen, und dabei stellte ich mir vor, Bubi käme mit mir zurück, um diesen Kerl niederzuschlagen. Keiner der Bulgaren würde ihm helfen, da war ich sicher. Ich sah, wie Bubi ihm mit der rechten Faust die Nase zerschmetterte, sah ihn zu Boden gehen und wie dann alle auf ihn eintreten würden, auch ich selbst, immer wieder, bis er sich nicht mehr rührte und nicht mehr schrie, und wie dann alle einfach weggehen und ihn im Dreck zwischen seinen Äpfeln liegen lassen würden.
    Nichts davon passierte, weder an diesem noch am folgenden Tag. Auf dem Platz ging ich zunächst zu meinem Vater, der in seinem Büro am Computer saß, und ließ mir von ihm ein paar Duschmünzen geben. Er fragte, wie es gewesen sei, und ich antwortete
anstrengend
und dass ich morgen noch mal hinwolle, dann holte ich mir frische Sachen und ein großes Handtuch aus dem Container und lief barfuß zu den Gästeduschen.
    Die Münzen brauchte ich alle auf. Wenn der Strahl aus der Brause über meinem Kopf verendete, steckte ich die nächste in den Kasten und ließ das warme Wasser an mir herunterlaufen, ohne etwas zu tun. Während ich mich abtrocknete, fühlten sich meine Arme und Beine an, als wären sie stundenlang weich geklopft worden. Ich aß mehrere Brote und zwei Spiegeleier zu Abend und legte mich danach sofort ins Bett, selbst zum Fernsehen war ich zu müde.
     
    Der Pritschenlaster stand am nächsten Morgen auf einem anderen Wegabschnitt, näher an den Bahngleisen. Auch die Bulgaren waren wieder da und luden leere Holzkisten ab. Der Vorarbeiter hockte bei geöffneter Tür im Fahrerhaus und schrieb auf ein Klemmbrett. Er schickte uns unter die Bäume, und wie am Tag zuvor gingen die Männer an die Arbeit. Ich blieb bei dem, mit dem ich schon gestern zusammen gewesen war. Er sah etwas jünger aus als die vier übrigen, was vielleicht an seinem kurzgeschorenen Haar lag. Wir gingen nebeneinander, und jetzt sagte ich ihm meinen Namen; er schlug mir auf die Schulter und sagte:
Christo
.
    Dann fingen wir an zu pflücken, und ich nahm mir vor, langsamer zu arbeiten, als ich eigentlich konnte, um meine Kraft einzuteilen. Irgendwann während des Vormittags fuhr der Vorarbeiter weg. Keiner der Männer wirkte überrascht, sie achteten gar nicht darauf, und erst als der Lastwagen auf die Straße abgebogen war, ließen sie es sein und rüttelten an den Baumstämmen, sodass die Äpfel auf den Boden prasselten. Christo und ein anderer zündeten sich Zigaretten an, aber keiner setzte sich hin oder hörte ganz zu arbeiten auf. Ich war schon bald wieder ziemlich

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