Die Glücksparade
nickte. Er wirkte erschöpft, aber offenbar war er entschlossen, an diesem Abend reinen Tisch zu machen, denn er sagte: «Und wo wir schon dabei sind, wir müssen uns überlegen, was wir mit Benni machen. Im Freien kann er nicht mehr lang bleiben, es wird zu kalt.»
«Hier drin ist kein Platz», sagte meine Mutter abwehrend. «Das ist ausgeschlossen.»
«Er könnte in einen Wagen der Nachbarn», sagte ich. «In den von Carlo.» Meine Mutter schüttelte nur den Kopf, um zu zeigen, dass sie mich nicht mehr ernst nahm. Mein Vater aber nickte.
«Ihr werdet lachen, daran hab ich auch schon gedacht.»
Das Schweigen meiner Mutter dauerte an, sie fasste sich nur an die Stirn, dann legte sie auch meinem Vater eine Hand an die Schläfe, als wollte sie fühlen, ob er Fieber hatte. Er nahm ihre Hand, führte sie langsam vom Kopf weg und auf den Tisch. Dort legte er sie ab und hielt sie mit seiner eigenen umfasst.
In dieser Nacht träumte ich von dem Abwasserrohr, das dreißig oder vierzig Meter neben der Brücke in die Uferböschung eingelassen war und dessen schräge Öffnung an einen abgeschnittenen Blumenstiel erinnerte. Ein Stahlrost versperrte den Zugang, der im Sommer, solange das Wasser niedrig stand, sichtbar gewesen war. Im Traum folgte ich diesem unterirdischen Kanal kilometerweit bis in die Stadt und unter die Häuser und Straßen, unter Gärten und Asphalt. Währenddessen wusste ich, dass ich schon einmal dort unten gewesen war und dass die Betonröhre, in der ich aufrecht gehen konnte, inmitten einer Wiese am Waldrand endete, wohin ich in dieser Nacht allerdings nicht kam. Ich wachte auch nicht vorher auf, sondern ich befand mich mit einem Mal im Keller unseres alten Hauses, schaute durch die Lattenwände zwischen den Verschlägen auf Fahrräder, Autoreifen und das Gerümpel dahinter und suchte nach Roland. Dann war ich in der Schule. Ich erschrak, weil ich merkte, dass ich ein Fach seit Anfang des Jahres nicht besucht hatte. Jetzt, da ich zum ersten Mal hingehen wollte, konnte ich den Raum nicht finden. Ich ging schnell, und trotzdem fühlte es sich an, als hielte mich ein langes Gummiband fest. Irgendwann wachte ich auf, die Morgendämmerung setzte gerade ein.
[zur Inhaltsübersicht]
[18]
Zwei Tage darauf präsentierte mein Vater uns seinen Vorschlag mit dem Hundeasyl. Die Idee hatte er sich offenbar bei demselben Wachdienstkollegen geholt, der schon den Züchter empfohlen hatte. Ich fragte, ob wir Benni dort denn irgendwann wieder abholen könnten. Er nickte.
«Was spricht dann dagegen?», sagte ich. Ich erwartete, dass es eine Stange Geld kosten würde und deshalb nicht in Frage kam.
«Das ist so eine Frau», sagte er. Sein Tonfall hatte etwas Belustigtes und gleichzeitig etwas Geheimnistuerisches. «Die hat schon ziemlich viele Hunde.»
«Und?», sagte ich.
«Ich meine, wirklich viele Hunde», sagte er.
Ich merkte, dass er absichtlich nicht zur Sache kam. Er war in seiner siegessicheren Stimmung und wollte sie auskosten. Mich machte das unruhig.
«Du meinst, sie tickt nicht richtig», sagte ich.
Mein Vater erwiderte nichts, sondern öffnete, den Ellenbogen auf die Tischplatte gestützt, seine Hand, wie um mir etwas zu zeigen, das er darin versteckt gehabt hatte.
«Hast du sie getroffen?», fragte meine Mutter.
«Nein», sagte er. «Noch nicht. Ich hab nur ihren Namen und ihre Adresse. Und das, was man mir erzählt hat.»
«Das klingt wieder mal sehr vielversprechend», sagte sie. Eine Bitterkeit hing über diesem Satz wie ein Echo. Mein Vater entgegnete, man müsse abwägen. Benni zum Züchter zurückzubringen hielt er für keine gute Idee – dabei sah er mich kurz an, und ich schüttelte den Kopf –, auch beim Tierheim gäbe es Schwierigkeiten, wenn man es als Hundehotel benutzen wolle. Bei dieser
Dame
, wie er sie jetzt nannte, habe er immerhin die Hoffnung, dass sie bis zum kommenden Frühjahr nicht vom Ordnungsamt ausgehoben werde. Außerdem könne man sicher sein, dass die Tiere dort anständig gefüttert würden, weil solche Menschen eher selbst verhungern, als den Hunden etwas wegzuessen.
«Wenn du meinst», sagte meine Mutter. Ich hätte nicht sagen können, ob sie wirklich überzeugt war, doch sie brachte zumindest keine Einwände mehr vor. Sie streckte einen Fuß nach dem Wäschekorb aus, der im Durchgang stand, und hob mit den Zehen verschiedene Kleidungsstücke an, wippte sie kurz auf dem Fuß und ließ sie wieder fallen. Wir sahen ihr dabei zu.
«Ende der Woche bring ich ihn
Weitere Kostenlose Bücher