Die Glücksparade
dem aschefarbenen Wasser.
Auf der Straße zwischen den Feldern war unser Auto zunächst ein roter Fleck, der langsam dahinkroch, dann eine Form bekam und, während es über die Brücke fuhr, schon so groß war wie ein Koffer. Meine Eltern stiegen aus, und meine Mutter entdeckte mich zuerst, sie zeigte mit dem Finger auf mich, und ich winkte ihnen zu. Mein Vater ging zu seinem Büro, und ich sah, dass er eine gewellte Eternitplatte wieder aufrichtete, die dort umgefallen war. Er lehnte sie an eine Wand der Hütte, meine Mutter wartete so lange, anschließend gingen sie an unserem Container vorbei und blieben unterhalb von mir neben dem Schaustellerwagen stehen.
«Komm mal da runter», sagte meine Mutter.
«Wie war das Gespräch?», sagte ich, ohne mich vom Fleck zu rühren.
«Wie immer», antwortete meine Mutter. Dann erzählte ich von den Polizisten, während beide den Kopf in den Nacken legten. Mein Vater wollte wissen, was sie hier gesucht hatten.
«Eine verdächtige Person», sagte ich.
«Wieso denn verdächtig?», fragte meine Mutter.
«Die meinen entweder Penner oder Terroristen», sagte mein Vater. «Aber die Penner sind nicht mehr da, und den Terroristen ist es zu ungemütlich.»
Vielleicht wartete er auf einen Lacher, doch es war niemand da außer uns.
«Mit dem Bart könntest du beides sein», sagte meine Mutter.
Ich näherte mich mit einem kleinen Schritt dem Rand des Daches. Ich wäre gern einfach nach unten gesprungen, aber ich zögerte, und um es wirklich tun zu können, hätte ich gleich springen müssen. Also tat ich das Gleiche wie an dem Tag, als ich krank geworden war, ich setzte mich auf das kalte Metall und blieb dort sitzen.
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[23]
Die Hustensaftflasche leerte ich am Wochenende noch bis auf den letzten Tropfen, und in der darauffolgenden Woche ging ich wie üblich zur Schule. Dann kamen der erste Frost und die Nacht von Mittwoch auf Donnerstag. In der Küche brannte kein Licht, sonst hätte ich es durch den Spalt unter der Tür gesehen, aber ich wusste, dass meine Eltern dort saßen. Beim Aufwachen hatte ich ihre gedämpften Stimmen gehört. Sie mussten schon eine ganze Weile geredet haben, denn beide klangen gereizt. Es war eines von diesen Gesprächen.
«Das können die nicht von mir verlangen», sagte meine Mutter. «Ich gehe doch nicht putzen, was glauben die denn. Das können die mit mir nicht machen.»
«Nie kannst du lange bei einer Sache bleiben», sagte mein Vater. «Sobald dir was nicht passt, schmeißt du es hin.»
Ohne mehr gehört zu haben und ohne schon ganz bei mir zu sein, merkte ich, dass mein Vater keine Antwort auf das gegeben hatte, was meine Mutter gesagt hatte. Ich überlegte, ob ich aufstehen sollte, aber aus irgendeinem Grund blieb ich liegen, als könnte sich mit jedem weiteren Wort aus der Küche ein Moment ergeben, der besser geeignet wäre. Vielleicht wartete ich auch darauf, dass mein Vater sagen würde:
Jenny, heirate nicht diesen Gammler
. Aber er tat es nicht.
«Und du bleibst an allem kleben, auch wenn du es hasst, nur weil du glaubst, du müsstest. Aber das musst du nicht», sagte meine Mutter.
Die Entgegnung meines Vaters klang wie ein Triumph:
«Das glaubst du.»
Es blieb eine Zeitlang ruhig, als ob beide sich in ihre Ecken zurückgezogen hätten, um Luft zu holen. Ich hörte meinen eigenen Atem und stellte mir vor, wie sie dort drüben im Dunkeln am Küchentisch saßen, in ihren Pyjamas und mit bloßen Füßen.
«Das ist keine Wohnung, das ist ein Hamsterkäfig», sagte meine Mutter.
Mein Vater seufzte.
«Dafür bezahlen wir keine Miete. Außerdem finde ich um diese Jahreszeit keinen, der uns den Container abkauft. Und du willst bloß wieder alles hinschmeißen.»
«Das stimmt nicht.»
«Doch, es stimmt. Mit Büchern machst du dasselbe, du fängst eins an, aber nach hundert Seiten hörst du auf.»
«Und du liest gar nicht.»
«Mir fehlt die Geduld, aber ich weiß es.»
«Wenn Bücher dich langweilen, ist das nicht meine Schuld.»
«Verstehst du nicht, worum es geht? Die ganzen Bücher über Diäten oder Pilates oder was weiß ich.»
«Hör auf damit, Robert», sagte meine Mutter. Ihre Stimme klang schrill und gleichzeitig müde. Seit langem hörte ich sie meinen Vater wieder beim Namen nennen. Fast war es, als hörte ich es zum ersten Mal.
«Ich versuch nur, den verdammten Laden zusammenzuhalten», sagte mein Vater. «Aber es haut einfach nicht hin, so einfach ist das.»
Danach blieb es still. Nach einer
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