Die Glut des Bösen: Kriminalroman (German Edition)
erstickt.«
Paul starrte in die Dunkelheit. Eine Straßenlaterne tauchte die Kastanie vor ihm in unwirkliches Licht. »Ein kastrierterMönch, eine Frau verblutet, nachdem ihr die Genitalien abgeschnitten wurden, ein Mann erstickt an seinem eigenen Schwanz. – Was sagt uns das?«
Grieser stöhnte auf. »Wenn ich das wüsste, wäre ich einen Schritt weiter.«
»Die erste Kastration war vermutlich freiwillig«, erwiderte Paul, »von einem Mönch vorgenommen. Die zweite Kastration wird an Palmsonntag innerhalb einer Klosteranlage durchgeführt und bringt eine Frau zu Tode. Die dritte Kastration wird ebenfalls in einer Klosteranlage durchgeführt, und zwar ausgerechnet an Karfreitag.«
Statt einer Antwort war von Grieser nur ein Brummen zu hören.
»Ich denke«, fuhr Paul fort, »auch das war noch nicht das Ende. Es wird an Ostersonntag einen weiteren Toten geben.«
»Diesmal werden wir besser vorbereitet sein«, meinte Grieser grimmig. »Aber warum glaubst du das?«
»Der Mönch hat sich an Ostersonntag das Leben genommen.«
»Du hast bereits einmal recht behalten«, sagte Grieser gequält. »Ich hoffe, diesmal ist es anders.«
Paul hörte Stimmen im Hintergrund, Grieser deckte das Mikro seines Handys ab, wechselte ein paar Worte mit jemandem und meldete sich dann zurück, um sich zu verabschieden.
»Aber das bleibt unter uns, was ich dir von den Ermittlungen erzählt habe«, sagte er eindringlich.
»Versprochen«, erwiderte Paul.
Schwester Adelgund schob ihre goldene Nickelbrille bis dicht vor ihre Augen und blickte sie ruhig an.
»Ich hätte es mir nicht ausgesucht, ehrwürdige Mutter, aber nun bleibt mir keine Wahl.«
Schwester Lioba nickte. Sie war froh, dass Schwester Adelgund nach dem Karfreitagsgottesdienst zu ihr gekommen war, um über das Vorgefallene zu sprechen. Ihre Geschichte war denkbar einfach. Vor einigen Monaten hatte Mutter Mechthild sie gebeten, aus Kostengründen von der Großwäscherei in Bingen zu der kleineren Wäscherei in Bingerbrück zu wechseln. Als Gastschwester hatte sie regelmäßig Kontakt mit dem Besitzer der Wäscherei gehabt. Erst war es Sympathie, dann Liebe und dann Leidenschaft.
»Und Sie sind sich sicher?«, fragte Schwester Lioba. Schwester Adelgund nickte. »Ja«, sagte sie. »Ganz sicher.«
»Sie wissen, wie das offizielle Vorgehen aussieht«, erwiderte die Äbtissin. »Ich kann Sie nicht aus dem Dienst der Kirche entlassen. Dafür benötigen Sie ein Austrittsindult, eine vom Papst erteilte Befreiung. Sie müssen ein offizielles Schreiben an den Heiligen Stuhl richten, mit der Bitte, Ihnen Dispens zu erteilen, um Sie von Ihrem Gelübde zu entbinden. Bis Ihrem Wunsch entsprochen wird, könnten Sie weiterhin im Kloster bleiben. Doch …« Schwester Lioba zögerte, »…angesichts der Sachlage halte ich es für besser, wenn Sie noch heute Abend Ihre persönlichen Dinge an sich nehmen und das Kloster verlassen.«
Die Äbtissin faltete die Hände und senkte den Blick auf das Bild des Gekreuzigten auf ihrem Schreibtisch. Schwester Adelgund hatte ihren Weg selbst gewählt. Trotzdem würde es ihr schwerfallen, die Gemeinschaft zu verlassen, der sie mehr als zehn Jahre angehört und die über viele Jahre ihr Leben ausgemacht hatte.
Schwester Lioba sah auf. Schwester Adelgund wirkte gefasst. Ihre Augen glänzten vor Tränen, doch sie bewahrte Haltung.
»Ich habe Hochachtung vor Ihrem Schritt«, sagte Schwester Lioba sanft, »es ist nicht leicht, nach so vielen Jahren inder Gemeinschaft nach draußen zu gehen und ein weltliches Leben zu führen. Es wird schwer sein, aber Sie werden Ihren Weg gehen. Es ist der richtige für Sie.«
»Es tut mir leid, ehrwürdige Mutter, dass ich Sie und die Mitschwestern so lange getäuscht habe«, begann Schwester Adelgund.
Doch Schwester Lioba hob die Hand und unterbrach sie.
»Es war ein schwerer Weg für Sie, und erst mussten Sie ein paar Schritte gehen, um sicher zu sein, dass er der richtige ist. Machen Sie sich keine Gedanken über das, was war. Sie haben niemandem geschadet. Und nun konzentrieren Sie sich auf das, was vor Ihnen liegt, und denken Sie nicht mehr darüber nach, was Sie hinter sich gelassen haben. Es war hoffentlich eine gute Zeit für Sie, die nun zu Ende geht.«
Schwester Adelgund nickte.
»Waren Sie deshalb gegen eine weltliche Beraterin?«, fragte Schwester Lioba sanft. »Waren Sie es, die Silvia Neureuther unter falschem Namen angerufen hat?«
Schwester Adelgund hob überrascht den Kopf. Sie zögerte,
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