Die Glut des Bösen: Kriminalroman (German Edition)
lebten, telefonierten sie oft nur, und ihre Besuche beschränkten sich in aller Regel auf Geburtstage und Weihnachten.
»Emma!«
Er klang erfreut.
»Hi, Paps.« Emma kuschelte sich in ihre Bettdecke. Sie tauschte mit ihrem Vater zuerst ein paar Belanglosigkeiten aus.
»Ich wollte dich etwas fragen«, erklärte sie schließlich. »Ich recherchiere gerade einen Artikel über einen Mordfall im Bingerbrücker Kloster. Da gibt es ein paar Dinge, die mich sehr an den Selbstmord von damals erinnern. Du weißt schon, der Lehrer in eurem Internat.«
»Was für ein Mord?«, fragte ihr Vater. Seine Stimme klang verändert.
»Hast du noch keine Nachrichten gehört?«
»Ich bin seit gestern auf einer Tagung«, erwiderte er gequält. »Ich habe nichts mitbekommen.«
Emma erzählte ihm kurz, was passiert war. Es blieb still am anderen Ende der Leitung. Auch Emma schwieg. Als er keine Anstalten machte, etwas zu sagen, sprach sie weiter.
»Wir haben nie darüber gesprochen. Ich erinnere mich nur, dass Mama gesagt hat, du hättest mit der Geschichte nichts zu tun.«
»So ist es«, sagte er mit dunkler Stimme.
»Aber Mama ist doch danach nach Hamburg gezogen. Also muss es doch irgendwas mit euch zu tun gehabt haben.«
»Nein«, sagte er entschieden. »Diese Sache war lediglich der Auslöser dafür, dass wir uns getrennt haben, nicht die Ursache.«
»Aber warum hat der Selbstmord etwas bei euch ausgelöst?«
Es blieb still. Dann hörte Emma ein Seufzen.
»Hör zu, mein Schatz«, sagte ihr Vater. »Ich hatte nichts mit diesem Mönch und seinem Selbstmord zu tun. Es war einfach an der Zeit, dass Mama gehen musste. Aber das möchte ich lieber persönlich mit deiner Schwester und dir besprechen und nicht am Telefon.«
»Andrea wird im Moment nicht nach Heidelberg kommen können«, erwiderte Emma. »Und ich möchte gern jetzt mit dir darüber reden.«
»Ich glaube nicht, dass ich dir bei deinem Artikel helfen kann«, sagte er ausweichend.
»Du hast selber gesagt, es ist an der Zeit, mit uns darüber zu sprechen«, erklärte Emma.
»Mit meinen Töchtern, ja«, rief er, »aber das hier ist ja wieder was anderes.«
»Ich finde, das bist du uns schuldig.«
»Ich glaube nicht, dass ich es dir schuldig bin, Futter für einen Artikel zu liefern«, sagte er störrisch.
»Das stimmt«, sagte Emma. »Du entscheidest, was ich davon in meinem Artikel verwenden darf und was nicht.«
Er schwieg lange.
»Okay«, sagte er schließlich, »aber du klärst das mit deiner Schwester, warum sie jetzt bei dem Gespräch nicht dabei ist.«
»Geht klar, Paps«, erwiderte Emma erfreut. »Wann hast du Zeit?«
»Ich bin noch bis heute Abend in München auf der Tagung. Du hast Glück, dass du mich gleich ans Telefon gekriegt hast. Wie wäre es mit Morgen Vormittag? So gegen 11 Uhr? Davor habe ich noch eine Besprechung, aber bis dahin müssten wir eigentlich durch sein.«
»Geht klar«, wiederholte Emma. Sie legte das Handy beiseite, wälzte sich auf den Rücken und dachte darüber nach, wie lange das Honorar der
Lupe
für einen weiteren Artikel reichen würde.
Nach der täglichen Lagebesprechung der Soko beschloss Grieser, selber nach Heidelberg zu fahren. Um schneller zu sein, verzichtete er auf einen Dienstwagen und nahm stattdessen sein Motorrad, eine Ducati Monster 1100. Als er Heidelberg erreichte, steuerte er den Parkplatz nahe der Theodor-Heuss-Brücke an. Dort schob er die Maschine auf den Ständer und verstaute Helm und Handschuhe in der Seitentasche. In einer kleinen Seitenstraße entdeckte er eine Bäckerei, in der er sich einen Cappuccino und ein Laugenbrötchen mit Käse kaufte. Dann suchte er sich unten am Neckar eine freie Bank. Während er aß, behielt er die Uhr im Auge. In wenigen Minuten hatte er einen Termin mit einem Kollegen. Da der Fall zwanzig Jahre zurücklag, war erin den Datenbanken der Polizei nicht erfasst. Telefonisch hatte er sich bereits über die wichtigsten Untersuchungsergebnisse informiert. Aber die Eindrücke eines Kollegen vor Ort waren oft mehr wert als nüchterne Fakten.
Der Kaffee war lauwarm. Grieser nahm einen großen Schluck und dachte darüber nach, welchen Zusammenhang es zwischen einem zwanzig Jahre zurückliegenden Selbstmord und dem Mord im Kloster Rupertsberg geben konnte. Der tote Mönch war vor zwanzig Jahren der Lehrer der ermordeten Frau gewesen. Zum Zeitpunkt seines Todes hatte er wie sie in der Leiste dasselbe Brandzeichen. Also musste der Mörder beide gekannt haben. Gab es noch
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