Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Glut des Bösen: Kriminalroman (German Edition)

Die Glut des Bösen: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Die Glut des Bösen: Kriminalroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anette Huesmann
Vom Netzwerk:
weniger das Brandzeichenüberrascht«, fuhr Rührig fort. »Viel verblüffender fand ich, dass der Pater kastriert war.«
    »Was?« Grieser vergaß für einen Moment den Schmerz an seinem rechten Fuß.
    »Er hatte keine Hoden mehr«, wiederholte Rührig und warf ihm einen Blick zu. »Wussten Sie das nicht?«
    Grieser schüttelte den Kopf.
    »Lag die Kastration auch erst zwei Tage zurück?«, fragte er.
    »Nein. Er hat sich mindestens zwei oder drei Jahre vor seinem Tod kastrieren lassen. Der Rechtsmediziner meinte, die Kastration sei von einem Fachmann durchgeführt worden und nach dem Eingriff gut verheilt.«
    »Gab es dazu irgendwelche Hinweise?«
    Sie kamen erneut an dem Spielplatz vorbei. Der kleine Junge zerrte an einem Plastikeimer, den das Mädchen verbissen festhielt, und schrie lauthals. Rührig sprach lauter, um das helle Kreischen zu übertönen.
    »Nein«, sagte der alte Kommissar. »Der Abt war entsetzt, als er davon hörte. Er erklärte, dass es im Mittelalter ab und zu vorkam, dass sich ein Mönch kastrieren ließ. Dann hatte er Ruhe vor den Qualen des Fleisches, wie er das nannte.«
    »Und wie üblich ist die Kastration heute noch?«
    »Keine Ahnung.« Rührig schüttelte den Kopf. »Der Abt war sicher, dass heute kein Mönch oder Priester mehr auf diese Idee kommen würde.«
    »Zumindest dieser Mönch ist darauf gekommen.«
    Rührig nickte. »Aber nach unserem Recht ist es nicht strafbar, sich kastrieren zu lassen. Und außerdem hatte es mit dem Selbstmord nichts zu tun. Wir haben es deshalb nicht weiter verfolgt. Sobald wir sicher waren, dass es sich um Selbstmord handelt, haben wir die Ermittlungen eingestellt.«
    »Keine Zweifel?« Grieser sah Rührig an. Sie erreichten die Theodor-Heuss-Brücke und blieben stehen.
    Rührig erwiderte seinen Blick ohne Zögern. »Nicht den geringsten.«
    »Wie viel haben Sie an Informationen rausgegeben?«, fragte Grieser. »Hat die Öffentlichkeit von dem Brandmal erfahren?«
    Rührig schüttelte den Kopf.
    »Die Presse hat nur über den Selbstmord berichtet. Von der Kastration wusste nur der Abt. Aber der hat das mit Sicherheit für sich behalten, schon aus eigenem Interesse. Das Brandmal spielte für unsere Ermittlungen keine Rolle. Darüber haben wir weder mit dem Abt noch mit den Angehörigen des Mönchs gesprochen.«
    Grieser nickte. Dann bedankte er sich bei Rührig und blickte ihm grübelnd nach, wie er mit weit ausholenden Schritten und schwingenden Stöcken zu einer zweiten Runde aufbrach.
     
    Schwester Lioba bat die Küchenschwester, mit dem Auftragen des Essens noch zu warten und sich zu ihren Mitschwestern zu setzen.
    Der ganze Konvent war im Refektorium versammelt. Schwester Bettina blickte bekümmert auf den Boden, die Gesichter einiger Schwestern waren ihr vertrauensvoll zugewandt, andere warteten mürrisch darauf, dass sie endlich anfing zu sprechen. Schwester Raphaela blickte skeptisch und ließ sie nicht aus den Augen.
    Es blieb ungewöhnlich ruhig. Kein Teller klapperte, und kein Zeitungsrascheln war zu hören. Der Geruch von Zwiebeln und Kohl hing in der Luft. Nach der Fischsuppe stand heute ein traditionelles Gericht auf dem Speiseplan. Schwester Heidrun räusperte sich. Schwester Lioba spürte die Ungeduldihrer Priorin. Sie senkte den Kopf, sandte ein Stoßgebet gen Himmel und faltete die Hände.
    »Liebe Mitschwestern.« Sie stockte und atmete tief durch. Dann hob sie den Blick und sah gelassen in die Runde. »Es tut mir leid, dass ich Ihnen eine so traurige Mitteilung machen muss. Noch dazu so kurz, nachdem der tragische Tod meiner Klassenkameradin alle erschüttert hat.«
    Schwester Lioba griff nach dem Glas Wasser vor ihr und trank einen Schluck. Schwester Heidrun hüstelte. Spätestens jetzt war sicher den meisten klar, dass die Priorin auf dieses Gespräch gedrängt hatte.
    »Wie Sie wissen«, fuhr Schwester Lioba fort, »hat unsere verehrte Mutter Mechthild, Gott hab sie selig, zwanzig Jahre lang die Geschicke unseres Konvents gelenkt. Sie hat sich redlich bemüht, das Kloster auch in wirtschaftlich schwierigen Zeiten sicher zu führen. Das ist ihr auch viele Jahre sehr gut gelungen. Leider hat sich die wirtschaftliche Situation der Kirche in den vergangenen Jahren sehr verändert. Die allgemeine schlechte Wirtschaftslage hat auch vor unserem Konvent nicht haltgemacht.«
    Schwester Lioba schwitzte. Sie hatte sich selten in ihrem Leben so unwohl gefühlt. Inzwischen gehörte ihr die ungeteilte Aufmerksamkeit ihrer Mitschwestern.

Weitere Kostenlose Bücher