Die Glut des Bösen: Kriminalroman (German Edition)
Schwester Lioba senkte zu einem kurzen Stoßgebet den Kopf. Dann hob sie die Augen und sprach entschlossen weiter. Nur dem Blick von Schwester Raphaela wich sie lieber aus.
»Schwester Heidrun und ich haben die Finanzen des Klosters Rupertsberg geprüft. In den letzten Jahren mussten wir viel Geld für die Instandsetzung des Gästehauses ausgeben. Gleichzeitig nahmen die Aufträge für die Restaurierung von Büchern und Urkunden immer mehr ab. Der Klosterladen wirft einen kleinen Profit ab, und auch die Näherei steuert nach wie vor einen Beitrag zum Überleben des Klosters bei.Leider reicht das nicht aus. In etwa zwei bis drei Monaten sind die Rücklagen des Klosters aufgebraucht. Wenn wir bis dahin keine anderen Einnahmequellen gefunden haben, müssen wir aufgeben.«
Auf einigen Gesichtern lag blankes Entsetzen. Manche schienen sich über die Tragweite dieser Worte noch nicht im Klaren zu sein. Sie wirkten eher überrascht. Schwester Lioba ließ sich schwer auf ihren Stuhl fallen. Ein Rascheln war zu hören.
»Ehrwürdige Mutter Oberin«, sagte eine kräftige dunkle Stimme. Sie gehörte Schwester Erika, einer meist unbekümmert wirkenden Novizin mit eleganten Bewegungen, die seit fast zwei Jahren im Kloster lebte. Die Gelübde hatte sie noch vor sich, wie ihr weißer Schleier zeigte. Die Gesichter wandten sich ihr zu. Schwester Erika war Mitte dreißig und unterstützte Schwester Adelgund im Gästehaus. Sie erwiderte den Blick von Schwester Lioba und erhob sich. »Wenn Sie erlauben, würde ich gern einen Vorschlag machen.«
Schwester Lioba nickte ihr aufmunternd zu.
»Vor meiner Aufnahme in den Konvent habe ich Betriebswirtschaftslehre studiert und anschließend fünf Jahre in einem Unternehmen gearbeitet. Dort war meine Hauptaufgabe Controlling. Wenn Sie erlauben, könnte ich die Finanzen des Klosters auf Einsparmöglichkeiten überprüfen.«
Schwester Lioba musste lächeln. Das war es, was sie am Leben in einer Gemeinschaft so schätzte. Alle traten füreinander ein, und es gab immer eine Schwester, die ihre besonderen Fähigkeiten zum Wohle aller einsetzen konnte. Sie warf Schwester Heidrun einen Blick zu. Die wirkte ebenfalls erfreut.
»Vielen Dank, Schwester Erika, das ist ein guter Vorschlag.«
Die Novizin blickte ernst in die Runde und schien kurz zu zögern. Dann sprach sie weiter.
»Ich möchte noch einen weiteren Vorschlag machen.«
Schwester Lioba nickte ihr erneut zu.
»Eine Freundin von mir, eine ehemalige Mitstudentin aus Berlin, hat sich vor kurzem als Unternehmensberaterin selbstständig gemacht. Sie hat sich auf kirchliche Einrichtungen spezialisiert. Wenn Sie erlauben, Mutter Oberin, rufe ich sie an und bitte sie um Unterstützung.«
»Ich weiß nicht, ob wir das bezahlen können«, erwiderte Schwester Lioba zögernd.
»Sie arbeitet unter anderem auf der Basis von erfolgsabhängigem Honorar. Das heißt, der Konvent muss sie nur bezahlen, wenn er sich durch die Beratung eine neue Existenzgrundlage aufbauen kann.«
Verblüfft wechselte Schwester Lioba mit ihrer Stellvertreterin einen Blick.
»Das klingt gut«, sagte sie bedächtig. Ein Raunen ging durch den Raum, dann erhob sich eine schmale Gestalt am Ende der langen Tafel. Es war Schwester Adelgund, die seit vielen Jahren das Gästehaus betreute. Sie hatte ein schmales Gesicht, das von einer Nickelbrille dominiert wurde. Ihre Stirn war in sorgenvolle Falten gelegt.
»Schwester Oberin, ich glaube nicht, dass wir die Zukunft unseres Konvents in die Hände einer weltlichen Beraterin legen sollten. Ich schlage vor, dass zunächst Schwester Erika unsere finanzielle Situation prüft. Und dann sollten wir gemeinsam mit allen Schwestern des Konvents eine Lösung für unsere finanziellen Probleme finden.«
Schwester Adelgund zupfte nervös an den Ärmeln ihres Habits.
»Wir werden nicht die Zukunft unseres Konvents der weltlichen Beraterin anvertrauen«, entgegnete Schwester Lioba.»Sie wird uns lediglich bei diesem schwierigen Prozess begleiten und uns mit ihrer Kompetenz unterstützen.«
»Ich habe von einer Buchprüfung nichts zu befürchten.« Schwester Adelgund ließ die Ärmel ihres Habits über ihre Hände fallen. »Aber ich denke, wir sollten zunächst alle Ressourcen des Klosters nutzen, bevor wir Weltliche hinzurufen.«
»Ich bin überzeugt davon, dass die ehemalige Studienkollegin von Schwester Erika ganz im Sinne des Konvents handeln wird«, sagte Schwester Lioba, »und am Ende liegt die Entscheidung bei uns.«
»Ich stimme
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