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Die Glut des Bösen: Kriminalroman (German Edition)

Die Glut des Bösen: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Die Glut des Bösen: Kriminalroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anette Huesmann
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aussehender Beamter schob ihm wortlos ein Formular über dem Tresen zu. Grieser unterschrieb und setzte sich mit der Akte in einen kleinen Nebenraum, der kärglich ausgestattet war mit einem weißen Resopaltisch und vier Freischwingern aus weißem Kunststoff.
    Es war nicht viel, wie Rührig gesagt hatte. Die Ermittlungen waren eingestellt worden, nachdem der Selbstmord des Mönchs von der Rechtsmedizin bestätigt worden war. Grieser biss in sein Brötchen und überflog kauend die kurzen Berichte der Kollegen. Der Tagesablauf des Mönchs war an seinem letzten Tag bis ins Kleinste geklärt worden. Er hatte unterrichtet, zu Mittag gegessen und war dann auf sein Zimmer gegangen. Das einzig Ungewöhnliche war, dass er an diesem Abend die Hildegard-AG ausfallen ließ. Niemand hatte etwas bemerkt. Einzig der damalige stellvertretende Schulleiter, Gerhard Lehmann, hatte zu Protokoll gegeben, dass ihm an Pater Benedikt etwas aufgefallen sei. An dieser Stelle war am Rande des getippten Berichts handschriftlich ein Ausrufungszeichen angefügt worden.
    Grieser las die Stelle erneut. Dann suchte er sich das Protokoll von Lehmanns Befragung heraus. Es begann unvermittelt, als hätte schon zuvor das entscheidende Gespräch stattgefunden.
    Wann ist Ihnen das zum ersten Mal aufgefallen?
    Vor genau einer Woche. Das war letzten Montag, also, ich weiß auch nicht, warum, aber irgendwie war es auffällig.
    Haben Sie mit ihm gesprochen?
    Ja, ich habe ihn dann am Dienstag, nein, es war Mittwoch, nein, stimmt nicht, es war kurz nach dem Gottesdienst, also Gründonnerstag, also da habe ich ihn darauf angesprochen.
    Was hat er geantwortet?
    Ja, also, das war schon auch irgendwie komisch. Er hat mich ganz merkwürdig angesehen. Für einen Moment dachte ich, er will mir was sagen. Und dann hat er nur den Kopf geschüttelt. Ganz komisch hat er gewirkt. Also um ehrlich zu sein, ich hatte das Gefühl, er würde gleich in Tränen ausbrechen. Und dann ist er gegangen, hat mich einfach stehenlassen und keinen Ton gesagt. Das fand ich schon komisch, sonst war er eigentlich nicht so. Ich meine, wenn ich gewusst hätte, aber ich konnte ja nicht ahnen, also niemand konnte das ahnen.
    Was haben Sie zu ihm gesagt?
    An dieser Stelle brach das Protokoll ab. Grieser durchsuchte die gesamte Akte, doch das fehlende Blatt war nirgends aufzufinden.
    Er fluchte leise und begann ein zweites Mal, die Akte durchzusehen. Sorgfältig betrachtete er jedes einzelne Blatt von der Vorder- und Rückseite. Das Ende des Gesprächsprotokolls war nicht zu finden.
    Grieser klemmte sich die Unterlagen unter den Arm und ging hinüber zu dem Kollegen, der das Archiv betreute. Er legte die natronbraune Mappe vor sich auf den Tresen.
    »In der Akte fehlt ein Teil eines Zeugenbefragungsprotokolls. Könnten Sie bitte mal nachsehen, ob das irgendwo zu finden ist?«
    Müde hob der Beamte den Kopf. Seinen Augen waren trübe. Tiefe Furchen zogen sich über seine Wangen bis weit in die Schläfen und verloren sich im unordentlichen grauenHaar. Grieser hatte den Eindruck, als wolle er protestieren. Doch selbst dazu schien ihm die Energie zu fehlen. Mühsam stemmte er sich aus seinem Schreibtischstuhl und schleppte sich nach hinten, wo er zwischen raumhohen Regalen verschwand. Minutenlang stand Grieser allein in der Stille, bis der Kollege mit schlurfenden Schritten wieder an seinen Platz zurückkehrte.
    »Da ist nichts«, presste er hervor. Er griff nach der Akte, die vor ihm auf dem Tresen lag. Grieser legte seine Hand darauf. Der Beamte hob den Kopf. Seine Augen waren ausdruckslos und leer.
    »Haben Sie überall nachgesehen?«, fragte Grieser. »Sind Sie sicher, dass es nicht unter das Regal oder in eine andere Akte gerutscht ist?«
    Ein Geräusch war zu hören. Vielleicht war es ein Protest, vielleicht hatte der Beamte auch nur geseufzt. Dann ließ er los und sank wieder auf seinem Stuhl zusammen. Grieser kehrte zurück in den Nebenraum und breitete alle Unterlagen auf dem Tisch aus. Bedächtig ging er alles ein weiteres Mal durch. Doch das fehlende Blatt blieb verschollen.
    Grieser griff nach den Fotos, die in einem dünnen Hefter aufgeklebt waren. Zwanzig Jahre waren die Ermittlungen alt, heute gab es kaum noch Fotos in Papierform. Grieser blätterte durch den schmalen Plastikhefter, dem ein muffiger Geruch entströmte. Er stieß auf eine Großaufnahme des Brandmals. Es saß in der linken Leiste und war verschorft. Der Arzt hatte eine Zeichnung gemacht, wie die Narbe vermutlich etwa

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