Die Glut des Bösen: Kriminalroman (German Edition)
ausgesehen hätte, wenn die Wunde verheilt wäre. Der Eselskopf war deutlich zu erkennen.
Grieser erinnerte sich, dass das Brandmal der Toten ganz ähnlich ausgesehen hatte. Bei ihr hatte sich noch kein Schorf gebildet, die Haut sah rot und verbrannt aus.
Stirnrunzelnd legte er die Mappe zur Seite. Ein Eselskopfals Brandmal. Bei beiden Toten saß das Mal in der Leiste. Ein Mann, der sich Jahre vor seinem Selbstmord hatte kastrieren lassen. Eine Frau, deren äußere Geschlechtsmerkmale brutal abgeschnitten worden waren und die an ihren Wunden verblutet war.
Unzufrieden griff Grieser nach dem Rest seines Brötchens. Er kaute und nahm einen Schluck aus dem Pappbecher. Kalt schmeckte der Kaffee bitter und aufreizend schal. Er trank ihn leer, zerdrückte den Becher und warf ihn Richtung Papierkorb. Der Becher trudelte oberhalb des schwarzen Plastikeimers gegen die Wand, wo er einen dunklen Fleck hinterließ, bevor er mit einem dumpfen Geräusch nach unten in den Eimer fiel.
Grieser machte auf dem Flur eine Kopie des Gesprächsprotokolls und brachte dann die Akte an den Tresen zurück. Er beobachtete, wie der Kollege sie zu sich heranzog und mit einem klatschenden Geräusch achtlos neben sich auf den Boden fallen ließ.
Beim Hinausgehen sah er auf seine Uhr. Kurz nach fünf, eigentlich früh genug, um zurück nach Bingen zu fahren.
Grieser wählte Rührigs Nummer und hatte kurze Zeit später den ehemaligen Kollegen am Telefon. Rasch erzählte er ihm von dem unvollständigen Protokoll. Doch Rührig konnte sich nicht erinnern, worum es damals gegangen war. Grieser beendete das Telefonat nach einigen höflichen Sätzen.
Ob er für den Rest des Tages freimachen sollte, um sich dann morgen früh wieder frisch ans Werk zu machen? Er konnte eine Verschnaufpause gebrauchen. Nein, es ging ihm in Wahrheit nicht darum, sich zu erholen. Er wollte einfach ein paar Stunden Zeit haben. Er zog sein Handy aus der Tasche und tippte eine kurze SMS. Paul hatte ihm gestern seine Handynummer aufgeschrieben. Bisher das Einzige, was er von sich preisgegeben hatte.
10. Kapitel
Unfruchtbare Frauen dagegen sind gesund, wenn sie keinen Verkehr mit Männern haben; haben sie aber Männer, dann sind sie kränklich.
Das Handy vor ihm piepste. Paul klemmte sich den Hörer seines Festnetztelefons zwischen Schulter und Wange und holte die SMS auf das Display.
Auf dem Festnetz hatte ihm Emma soeben von dem Telefonat mit ihrem Vater erzählt. Er spürte ihre Unsicherheit. Seit Jahren ging sie dem Thema aus dem Weg, was damals eigentlich zwischen ihren Eltern vorgefallen war. Denn das würde sie unweigerlich weiterführen zum Tod ihrer Mutter und den Schuldgefühlen, die sie deshalb hatte.
»Du hast eine SMS gekriegt«, kommentierte Emma den Piepton.
»Der Kommissar hat Sehnsucht nach mir«, stellte er mit einem Blick auf das Display fest und legte das Handy beiseite.
Er saß in dem ehemaligen Laden, den sie gemeinsam als Büro nutzten. Es lag in der Blumenstraße, nur wenige hundert Meter vom Bismarckplatz entfernt. Auf das breite Holzfensterbrett des alten Schaufensters hatten sie Grünpflanzen mit ausladenden Blättern gestellt, damit sie nicht wie auf dem Präsentierteller saßen und trotzdem Licht hereinkam.Im alten Verkaufsraum mit dem knorrigen Holzboden hatten sie zwei Schreibtische voreinander gerückt, jeweils mit einem Computer und Telefon bestückt. Im Regal daneben war ein Kombigerät untergebracht mit Fax, Scanner und Drucker, daneben stand Pauls Aufnahmegerät, ohne das er nicht aus dem Büro ging. Es gab einen weiteren kleinen Raum, in dem ihre Unterlagen und Bücher Platz fanden und aus dem man in die kleine Küche dahinter gelangte. Zwischen Küche und dem Hauptraum lag die Toilette. Die Räume waren zwar etwas heruntergekommen, dafür aber günstig und zentral gelegen.
»Wirst du dich mit ihm treffen?«, fragte sie.
»Er ist in Heidelberg.«
»Dass heißt, Grieser will sich mit dir auf neutralem Boden treffen, damit seine lieben Kollegen nichts mitkriegen.«
»Vermutlich«, sagte Paul. »Aber ich bin mir nicht sicher, ob ich das tun sollte.«
»Wenn er heute in Heidelberg ist, könnte es bedeuten, er ist an der alten Geschichte dran«, sagte Emma.
»Und?«, fragte Paul.
»Vielleicht gibt es ja Neuigkeiten«, erwiderte Emma.
Paul schwieg.
»Was ist? Du hast doch sonst nichts dagegen, Arbeit mit Vergnügen zu verbinden.«
»Klingt nicht sehr schmeichelhaft«, erwiderte Paul und zog die Augenbrauen
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