Die Glut des Bösen: Kriminalroman (German Edition)
diesem Raum immer haben sollte.
Die Tür öffnete sich und Schwester Brigitta schob ihren Kopf durch den Spalt. Dann blieb sie unentschlossen in der halb geöffneten Tür stehen. Sie war eine kräftig gebaute Frau in den Vierzigern, mit Pausbacken und einem leichten Silberblick.
»Ehrwürdige Mutter«, sagte sie zögerlich. Ihre Stimme bebte.
Schwester Lioba betrachtete sie zweifelnd. Wenn Schwester Brigitta in ihrem Büro auftauchte, dann hatte das nichts Gutes zu bedeuten. Sie wusste von ihrer Vorgängerin, dass Schwester Brigitta ihr Seelenheil darin suchte, das vermeintlich gefährdete Seelenheil anderer zu retten. Meist gegen deren Willen.
»Kommen Sie doch bitte herein, Schwester Brigitta, und setzten Sie sich«, sagte Schwester Lioba. Es war das erste Mal, dass Schwester Brigitta mit einem solchen Anliegen zu ihr kam. Sie zweifelte nicht daran, dass es das Übliche war, und nahm sich vor, ein für alle Mal klarzustellen, dass sie in ihrem Konvent keine Denunziationen duldete.
»Ich weiß, es ist nicht meine Aufgabe«, sagte SchwesterBrigitta demütig, setzte sich und richtete den Blick entschlossen auf ihre Knie. »Aber ich bin davon überzeugt, dass die ehrwürdige Mutter Oberin wissen möchte, wenn ein Schaf die Herde verlässt und dann nicht mehr den Weg in die Gemeinschaft zurückfindet.«
»Schwester Brigitta«, unterbrach Schwester Lioba die mit Pathos vorgetragenen Worte, »was möchten Sie mir sagen?«
Ein Auto startete im Klosterhof. Schwester Lioba registrierte erleichtert das Knirschen der Reifen im Schotter und das leiser werdende Motorengeräusch. Die Polizei hatte die Klosteranlage verlassen. Zum Abendgebet konnten sie in die Abteikirche zurückkehren, das hatte ihr die Kommissarin fest versprochen.
»Ein Mitglied unserer Gemeinschaft pflegt eine ...« Schwester Brigitta wand sich und suchte nach Worten, »... ein unziemliches Verhältnis zu einem Mann hier im Ort.«
Schwester Lioba atmete tief durch. Dann stand sie auf, umrundete ihren Schreibtisch und blieb vor Schwester Brigitta stehen. Wäre sie in einem anderen Moment gekommen, dann hätte sie Schwester Brigitta zu einem ernsten Gespräch gebeten. Doch heute fehlte ihr die Kraft.
»Ich bin überzeugt davon, Schwester Brigitta«, sagte sie stattdessen knapp, »dass Sie es ernst meinen und um das Seelenheil Ihrer Mitschwester ernstlich besorgt sind. Lassen Sie es nun damit gut sein, und überlassen Sie es mir, mich darum zu kümmern.«
Zum ersten Mal hob Schwester Brigitta den Blick. Sie wirkte verblüfft, ihr linkes Auge schielte nun etwas stärker als zuvor.
»Aber wollen Sie nicht wissen ...«, begann sie.
»Wenn unsere Mitschwester die Zeit für gekommen hält, das Gespräch zu suchen, wird sie den Weg zu mir finden. Dann ist es früh genug«, erwiderte Schwester Lioba streng.
Verunsichert erhob sich Schwester Brigitta. Ebenso zögerlich, wie sie gekommen war, verließ sie das Büro wieder. An der Tür blieb sie ein letztes Mal stehen, drehte sich halb um.
»Aber weil doch die Polizei wissen möchte ...«, wandte sie mit zittriger Stimme ein.
Schwester Lioba musterte sie scharf.
»Gibt es irgendetwas, was Sie über den Mord in unserem Kloster wissen? Etwas, das zur Aufklärung dieses furchtbaren Verbrechens beiträgt?«
Schwester Brigitta erstarrte. Ihr Blick irrte durch das Zimmer. Dann senkte sie demütig den Kopf.
»Nein, ehrwürdige Mutter«, sagte sie mit leiser Stimme.
»Wenn Sie etwas zur Aufklärung des Todes meiner ehemaligen Schulkameradin beizutragen haben, dann wenden Sie sich bitte an die Polizei«, sagte Schwester Lioba eindringlich.
Schwester Brigitta schwieg.
»Andere Vorkommnisse in dieser Gemeinschaft sollten der Privatsphäre unserer Schwestern und unseres Konvents vorbehalten bleiben«, fuhr Schwester Lioba fort.
Schwester Brigitta zwinkerte. Schwester Lioba fürchtete, dass sie jeden Moment in Tränen ausbrechen würde.
»In wenigen Minuten ist Zeit für die Vesper«, sagte sie versöhnlich. »Heute können wir uns wieder zum ersten Mal in der Abteikirche zum Gebet versammeln. Bitte geben Sie unseren Mitschwestern Bescheid, dass wir uns heute nicht in der kleinen Kapelle einfinden, sondern in der Kirche.«
Ein Leuchten ging über das Gesicht der Schwester. Sichtlich erfreut eilte sie davon.
Schwester Lioba seufzte und trat vor ihren Altar. Sie senkte demütig den Kopf und dankte Gott für die Stärke, die er ihr gegeben hatte und die sie in der nächsten Stunde noch brauchen würde. Es war das
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