Die Glut des Bösen: Kriminalroman (German Edition)
auf das Handy in ihrer Hand. Andrea hatte vor sieben Minuten aufgelegt. Zeit genug, um ein schmerzendes Kinderknie zu verarzten und Tränen zu trocken. Emma drückte die Wahlwiederholtaste. Nach kurzem Klingeln meldete sich ihre Schwester.
»Ja?«, fragte sie, und Emma glaubte eine gewisse Sorge aus ihrer Stimme zu hören.
»Ich wollte nicht mit dir streiten«, sagte Emma versöhnlich. »Es tut mir leid. Ich wollte eigentlich nur erzählen, dass Vater meinte, bei so einem Gespräch sollten wir beide dabei sein. Ist es in Ordnung für dich, wenn wir trotzdem morgen darüber sprechen, auch wenn du nicht dabei sein kannst? Das wäre für meinen Artikel wichtig.«
»Mir ist es nicht so wichtig wie dir«, erklärte Andrea. »Mir wäre es ohnehin zu weit, extra deshalb nach Heidelberg zu kommen.«
Sie wohnte in Bad Wilhelmshöhe, im Westen Kassels, das waren rund vier Stunden Fahrt nach Heidelberg.
»Ich erzähl dir dann, wie’s war«, sagte Emma.
»Aber mach ihm keine Vorwürfe«, bat Andrea. »Er hat unter Mutters Tod genauso gelitten wie wir. Er macht sich schon selber Vorwürfe genug, dass er nicht mitbekommen hat, wie sie da reingerutscht ist.«
»Ist in Ordnung«, sagte Emma versöhnlich. Sie ließ Grüße an Sven und die Kinder ausrichten und beendete das Gespräch. Nachdenklich ging sie einige Schritte weiter. Der Bergrücken hob sich kaum noch vom Himmel ab.
Emma war nicht sicher, ob sie ihr Versprechen halten konnte. Aber sie war froh, dass Andrea nichts gegen das Gespräch morgen hatte. Das machte vieles einfacher.
DIENSTAG DER KARWOCHE
13. Kapitel
In den Wellen aber, die unter leichterem Winde sich erheben und in Unwettern, die bei schwachen Wirbelwinden aufkommen, kann sich ein Schiff, wenn auch mit Mühe, halten, und ebenso verhält sich die Natur des Weibes in der Geschlechtslust, weil diese leichter beherrscht werden kann wie die Art der Geschlechtslust des Mannes.
Emma fuhr noch am selben Abend zurück nach Heidelberg und verbrachte in ihrer Zweizimmerwohnung eine ruhige Nacht. Am nächsten Morgen legte sie auf dem Weg ins Büro einen kurzen Zwischenstopp ein und kaufte beim Café Frisch ein Brioche. Von dort war es mit dem Fahrrad nur noch wenige Minuten bis ins Büro. Als sie eintrat, packte Paul gerade Aufnahmegerät, Block und Stifte in seinen Rucksack.
»Ich muss gleich los«, sagte er. »Heute ist die Hauptverhandlung gegen Meinhardt wegen versuchten Mordes. Fängt um 9.30 Uhr an.«
Emma sah auf die Uhr. 9.15 Uhr. Bis zum Landgericht Heidelberg waren es nur wenige Meter zu Fuß.
»Grieser ist heute Morgen wieder zurück nach Bingerbrück gefahren«, sagte er beiläufig und leerte seinen Kaffeebecher mit einem Zug.
»Wie heißt der Kerl eigentlich?«, murmelte Emma. »Du nennst ihn doch im Bett nicht bei seinem Nachnamen?«
Paul lachte und schob die Zeitungen zu ihr herüber, die sie gemeinsam abonniert hatten. Wie immer hatte er sie nach seiner Lektüre wieder ordentlich zusammengelegt.
»Er heißt Peter«, sagte er.
»Peter und Paul, wie passend.«
»Haha«, sagte Paul und schnaubte. »Hast du gestern noch was Neues herausgefunden?«
Emma gab ihm eine Kurzfassung ihres Gesprächs mit Hertl.
»Auch nichts Neues«, brummte Paul.
»Ich denke, Hertl weiß noch mehr«, sagte Emma, »der will nur im Moment nicht damit rausrücken.«
»Na, das wirst du schon noch schaffen«, erwiderte Paul. »Grieser hat mir erzählt, dass er an der Heidelberger Geschichte dran ist. Er muss in den Protokollen was gefunden haben, dem er nachgehen will.«
»Hat er verraten, in welche Richtung er jetzt ermittelt?«.
»Er hat eine Andeutung gemacht, mehr nicht. Soll irgendwas mit dem Internat zu tun haben, mit einem der Lehrer dort.«
»Mit meinem Vater?« Emma richtete sich auf.
»Weiß nicht, so viel hat er mir nicht verraten. War auch keine Zeit dafür.« Paul lachte und griff nach seinem Rucksack.
»Weiß Grieser eigentlich, dass wir befreundet sind?«, fragte Emma.
»Tja«, erwiderte Paul, »das schon. Aber ich glaube nicht, dass ihm klar ist, dass du die Tochter von Gerhard Lehmann bist. Das sollte er wohl noch erfahren.« Er verabschiedete sich mit einem Augenzwinkern.
Grieser machte auf seinem Rückweg nach Bingen kurz Halt an einer Raststätte. Als er im Kloster ankam, ging er direkt in den Tagungsraum, um die tägliche Lagebesprechung zu leiten. Anschließend wechselten er und Sabine Baum für die Vernehmung der Schwestern in das Refektorium. Baum hatte bereits alles
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