Die Glut des Bösen: Kriminalroman (German Edition)
harmlose Fragen zur Clique und seinem Kontakt zu den anderen. Dann entließ er ihn. Als sich die Tür des Gäste-Refektoriums hinter ihm schloss, wandte sich Grieser seiner Kollegin zu. Sabine Baum lehnte mit finsterem Blick in ihrem Stuhl.
»Wir müssen mehr gegen ihn in der Hand haben«, sagte Grieser, »vorher packt der nicht aus.«
»Das ist bisher das Einzige, was wir überhaupt haben«, sagte sie grimmig, »alle anderen Spuren sind bisher im Sand verlaufen.«
Grieser griff nach seiner Tasche, die neben ihm auf dem Boden lag.
»Gestern in Heidelberg bin ich die alten Akten durchgegangen. Sieh mal.«
Er schob Baum die Kopie über den Tisch, die er im Heidelberger Präsidium gemacht hatte. Baum runzelte die Stirn und zog den Auszug aus dem Zeugenbefragungsprotokoll zu sich herüber. Sie überflog die wenigen Zeilen, drehte das Papier und starrte auf die leere Rückseite.
»Wo ist der Rest?«, fragte sie. »Da fehlt doch die Hälfte?«
»Das glaube ich auch«, erwiderte Grieser. »Doch der Schluss der Befragung war in Heidelberg nicht zu finden.«
Baum las den Text ein zweites Mal. Nachdenklich sah sie auf.
»Irgendwas ist damals dem stellvertretenden Schulleiter aufgefallen«, sagte sie, »fragt sich nur, was.«
»Gestern war er nicht da, als ich im Internat war«, sagte Grieser nachdenklich. »Aber ich werde ihn heute noch mal aufsuchen. Ich glaube, dass wir nur über die alte Geschichte weiterkommen.«
»Schwester Heidrun, würden Sie nach dem Essen bitte zu mir ins Büro kommen?«
Schwester Lioba blickte zur Priorin, die zur Bestätigung nickte. Schwester Bettina hatte ihren Platz auf dem kleinen Podest bereits eingenommen und suchte in der Zeitung nach der passenden Lektüre für das Mittagessen. Sie beteten gemeinsam und dankten für die Speisung. Dann nahm SchwesterBettina die Lesung auf, und nur das leise Klappern von Geschirr und Besteck war noch zu hören.
Das gekochte Rindfleisch schmeckte ausgezeichnet, doch die Kartoffeln waren etwas zerkocht, und in der Meerrettichsoße schwammen kleine Klümpchen. Ob das Fleisch sehr teuer war? Schwester Lioba erinnerte sich daran, dass die Lebenshaltungskosten des Klosters in den vergangenen Jahren deutlich gestiegen waren. Lag das an den Lebensmittelpreisen? Oder daran, dass sie sich zu häufig gutes Essen gönnten? Sie sah in die Runde und erinnerte sich daran, was ihre Novizinnenmeisterin gesagt hatte. Eine Äbtissin, die möglichst viele Schwestern ihres Konvents bei guter Stimmung halten wollte, sollte stets für gutes Essen sorgen. Es war schon mehr als einmal vorgekommen, dass ein neugewähltes Oberhaupt aus dem Konvent gemobbt wurde, weil es zu sehr an den Grundbedürfnissen der Schwestern sparte. Auch im Kloster machten sich die modernen Zeiten bemerkbar, Demut und Gehorsam waren die schwersten Gebote für die Schwestern, und sie fanden immer neue Wege, um sich und ihren Wünschen Gehör zu verschaffen.
Nur zehn Minuten nach dem abschließenden Tischgebet erschien Schwester Heidrun in ihrem Büro. Draußen war leises Klappern zu hören, die Novizinnen deckten den Tisch ab und brachten das Geschirr in die Küche zum Spülen.
»Silvia Neureuther hat mich angerufen«, sagte Schwester Lioba. »Das ist die ehemalige Studienkollegin von Schwester Erika. Sie ist damit einverstanden, ein paar Tage bei uns zu wohnen und unsere Bücher durchzugehen. Dafür wird sie etwa zwei bis drei Tage brauchen. Anschließend sollen alle Schwestern des Konvents in einem Workshop gemeinsam erarbeiten, was für Möglichkeiten wir haben. Danach wird sie mit mir besprechen, ob sie eine Strategie für uns entwickelt oder lediglich eine Empfehlung ausspricht.«
»Bringt uns das wirklich weiter?«, fragte Schwester Heidrun zweifelnd.
»Wir haben keine andere Wahl«, erwiderte Schwester Lioba entschieden. »Oder haben Sie einen anderen Vorschlag?«
»Nein, Mutter Oberin«, sagte Schwester Heidrun und blickte ihr fest in die Augen.
Schwester Lioba schwieg. Sie wusste, dass Schwester Heidrun den modernen Entwicklungen höchst skeptisch gegenüberstand. Manche Klöster wurden wie straffe Industriebetriebe geführt, machten Werbung, entwickelten Marken und nutzten ihr Ansehen als kirchliche Einrichtung, um gutbezahlte spirituelle Seminare und Workshops anzubieten. Andere holten sich weltliche Verwaltungsleiter ins Haus und ließen zu, dass alle Strukturen des Klosters unter weltlichen Aspekten durchleuchtet wurden.
»Ich möchte nur noch einmal daran erinnern, dass wir
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