Die Glut des Bösen: Kriminalroman (German Edition)
ein kontemplativer Orden sind, ehrwürdige Mutter«, nahm Schwester Heidrun das Gespräch wieder auf.
»Aber auch ein kontemplativer Orden muss von etwas leben«, sagte Schwester Lioba fest. »Und auch ein kontemplativer Orden braucht Nachwuchs, junge Schwestern, die in unsere Gemeinschaft eintreten und eines Tages die Verantwortung für den Konvent übernehmen. Sie wissen doch selbst, gerade in diesen schwierigen gesellschaftlichen Zeiten landen in einem kontemplativen Orden nicht selten Frauen, die ein Problem mit sich und dem Leben haben. Sie möchten sich am liebsten ganz aus dem Leben zurückziehen und hier ihre Weltverdrossenheit leben. Oder es kommen Frauen, die psychisch instabil sind und aus einem Leben fliehen, das sie überfordert. Dabei braucht man gerade für das Leben in einem kontemplativen Orden einen starken Geist und eine gesunde Seele, um sich der Gemeinschaft unterordnen zu können.«
Schwester Heidrun seufzte und nickte. Schwester Lioba musste lächeln. Sie waren bei ihrem Lieblingsthema angekommen.
»Aber wir sollten doch nicht aus einem kontemplativen Orden einen tätigen machen, nur um zu verhindern, dass psychisch labile Frauen eintreten«, wandte Schwester Heidrun ein.
»Eine Gemeinschaft verträgt auch eine kleine Anzahl psychisch labiler Menschen«, erwiderte Schwester Lioba leise. Sie warf einen Blick zur Jesusfigur auf dem Altar neben der Tür. Sie verspürte das Bedürfnis, um Verständnis zu bitten für all die weltlichen Probleme, die in den vergangenen Tagen das geistliche Leben in diesem Raum fast verdrängt hatten. »Aber es sollten nicht zu viele werden, sonst leiden die Mitschwestern darunter.«
»Wenn wir nicht mehr genug Nachwuchs haben, dann wird es eben eines Tages auf dem Kloster Rupertsberg keinen Konvent mehr geben. Das ist immer noch besser, als unseren Orden zu einem tätigen Orden zu machen«, erwiderte Schwester Heidrun entschieden.
»Ein tätiger Orden kümmert sich um arme und kranke Menschen«, wandte Schwester Lioba ein, »das ist eine wichtige und ehrenvolle Aufgabe in unserer Gesellschaft.«
»Das habe ich nie in Frage gestellt«, protestierte die Priorin.
»Silvia Neureuther ist eine vielbeschäftigte Frau und in den nächsten Wochen ausgebucht«, beendete Schwester Lioba die Debatte. »Doch sie hat sich über Ostern ein paar Tage frei gehalten. Aus Freundschaft zu Schwester Erika hat sie angeboten, uns einige Tage ihres Urlaubs zu opfern. Sie wird schon morgen bei uns eintreffen.«
Schwester Heidrun presste die Lippen aufeinander und schwieg.
»Sie wird uns lediglich beraten. Am Ende liegt es an uns, zu entscheiden, was wir tun«, sagte Schwester Lioba versöhnlich. »Alle Schwestern des Konvents werden gemeinsam beschließen, wie es künftig weitergehen soll.«
16. Kapitel
Denn ihre Augen sind wie Pfeile auf die Liebe der Frau gerichtet, wenn sie sie sehen; ihr Gehör ist wie ein sehr heftiger Wind, wenn sie sie hören, und ihre Gedanken sind wie ein Sturmwind, der nicht daran gehindert werden kann, auf die Erde herabzufallen.
Als Emma zum Schulgebäude zurückkehrte, teilte der Sekretär ihres Vaters mit sorgenvoller Miene mit, dass die Besprechung noch nicht beendet sei. Emma beschloss zu warten, ließ sich neben der Bürotür ihres Vaters auf einer einfachen Holzbank nieder und startete ihren Laptop. Doch kaum war er hochgefahren, öffnete sich die Tür neben ihr, und Gerhard Lehmann verabschiedete seinen Besuch, eine finster dreinblickende Dame im dunkelgrauen Anzug und mit sorgfältig ondulierten Haaren.
Emma freute sich ehrlich, ihn zu sehen. Ihr Vater bat sie herein und war sichtlich zerknirscht, dass sie so lange hatte warten müssen. Emma steuerte die Besucherecke seines Büros an und ließ sich in den bequemen Ledersessel fallen, der nach ihrer Erinnerung schon immer dort gestanden hatte. Sie blickte sich um und fand, dass sich in den vergangenen zehn Jahren, seit ihr Vater Rektor dieser Schule war, in diesem Raum nichts verändert hatte. Es war eingroßzügig geschnittenes Büro, mit einem Schreibtisch, an dem bereits mehrere Schulleiter die Zeugnisse ihrer Schüler unterschrieben hatten, raumhohen Bücherregalen und einer ledernen Sitzgruppe mit Couchtisch. Früher hatte Emma immer geglaubt, so müsste die Bibliothek eines englischen Landsitzes aussehen.
»Es ist schön, dass du hier bist«, sagte ihr Vater und setzte sich in die rechte Ecke der Couch, seinem Lieblingsplatz. Emma lächelte ihm zu und betrachtete ihn in
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