Die Glut des Bösen: Kriminalroman (German Edition)
mindestens zwanzig Zentimeter. Zu ihrem dunklen Hosenanzug trug sie eine weiße Bluse und hochhackige Schuhe, die weit durch die Flure des Klosters zu hören waren.
Schwester Lioba betonte, wie froh sie war, dass Silvia Neureuther sich so schnell die Zeit genommen hatte, um die Finanzen des Klosters zu prüfen. Sie bedeutete ihr, in einem der Sessel ihrer Sitzecke Platz zu nehmen. Schwester Lioba schenkte sich und ihrem Gast Kaffee ein. Dann raffte sie ihren Habit und setzte sich ihr gegenüber in den mit grauem Velours bezogenen Sessel.
»Schwester Erika hat in den vergangenen zwei Tagen unsere Finanzen geprüft«, sagte Schwester Lioba. Sie brauchte einen Atemzug Pause, bevor sie weitersprechen konnte. »Die Lage ist noch katastrophaler, als ich ursprünglich angenommen habe.«
Seit Schwester Erika sie gestern Abend wenige Minuten vor dem Abendessen darüber informiert hatte, plagten sie abwechselnd Herzrasen und Schweißausbrüche.
Silvia Neureuther nickte. Sie fuhr sich mit der Linken durch die kurzgeschnittenen blonden Haare. »Ich würde die Einzelheiten Ihrer finanziellen Lage gern von Erika im Detail erläutert bekommen«, sagte sie mit rauer Stimme.
»Ja, Schwester Erika soll Ihnen alles darlegen«, erwiderte Schwester Lioba. »Ich selbst habe die Führung des Klosterserst vor sechs Wochen übernommen. Nach dem Tod der ehrwürdigen Mutter Mechthild bin ich zur Oberin gewählt worden. Seitdem versuche ich eine Lösung für unseren Konvent zu finden.«
Unvermittelt musste sie an Miriam und ihren schrecklichen Tod denken. Schwester Lioba schwitzte. Die Unternehmensberaterin musterte sie mit prüfendem Blick. Die Äbtissin stemmte sich aus dem Sessel und ging zum Fenster. Sie öffnete einen Fensterflügel und sog die frische Vorfrühlingsluft ein.
»Alles in Ordnung?«, erklang die besorgte Stimme Neureuthers hinter ihrem Rücken.
»Entschuldigen Sie«, sagte Schwester Lioba und kehrte zu ihrem Platz zurück, »Hitzewallungen, wahrscheinlich die Vorboten der Wechseljahre.«
Sie setzte sich und ordnete den Habit über ihren Knien. Als sie den Blick hob, begegnete sie den grün schimmernden Augen Neureuthers.
»Ich werde etwa zwei bis drei Tage brauchen, bis ich einen groben Überblick über Ihre Situation habe«, sagte Silvia Neureuther. »Sobald ich weiß, wann ich so weit bin, gebe ich Ihnen Bescheid. Dann sollten Sie und die Schwestern des Konvents sich die Zeit für den Workshop nehmen. Das könnte vielleicht einen Tag dauern. Danach kann ich Ihnen sagen, welche Möglichkeiten es gibt.«
Schwester Lioba nickte.
Silvia Neureuther beugte sich vor und griff nach ihrer schwarzen ledernen Aktentasche, die sie neben dem Tisch auf den Boden gelegt hatte. Sie erhob sich. Schwester Lioba folgte ihr und rief Schwester Beatrix aus dem benachbarten Archiv heran.
»Übrigens habe ich gestern einen Anruf erhalten«, sagte Silvia Neureuther leise zu Schwester Lioba. »Eine SchwesterMeta sagte mir, sie sei eine Mitarbeiterin von Ihnen und solle mir ausrichten, Sie bräuchten meine Hilfe nicht mehr.«
Verblüfft musterte Schwester Lioba die junge Frau. »Es gibt keine Schwester Meta in unserem Konvent.«
»Ich weiß«, sagte Neureuther. »Ich war so erstaunt, dass ich gleich Schwester Erika angerufen habe. Die meinte, da müsse mich jemand auf den Arm genommen haben.«
»Wissen Sie, von welcher Nummer der Anruf kam?«, fragte Schwester Lioba nachdenklich.
»Das hat mich Schwester Erika auch gefragt. Ich hatte die Nummer noch im Speicher. Die Anruferin muss den Apparat in Ihrer Pforte benutzt haben.«
»Dort haben nur die Schwestern unseres Konvents Zugang«, sagte Schwester Lioba und rieb sich die Stirn. »Ein Mitglied unseres Ordens wollte anscheinend verhindern, dass Sie uns helfen.«
Silvia Neureuther neigte den Kopf.
»Ich dachte, Sie sollten das wissen.«
Schwester Lioba nickte und dankte ihr. Silvia Neureuther musterte sie prüfend. Dann verließ sie das Büro.
Schwester Lioba spürte, dass die Anspannung ihr zu schaffen machte. Nachdenklich durchquerte sie den großzügig geschnittenen Raum und blieb vor dem Fenster stehen.
Sie fragte sich, welche Schwester ungeachtet aller Regeln des Ordens bei Silvia Neureuther angerufen hatte. Es musste ihr sehr wichtig gewesen sein, dass die Unternehmensberaterin die Bücher des Klosters nicht zu sehen bekam. Ihr fiel der Moment ein, als Schwester Erika ihre ehemalige Studienkollegin ins Gespräch gebracht hatte. Damals waren zwei Schwestern dagegen gewesen.
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