Die Glut des Bösen: Kriminalroman (German Edition)
Schwester Adelgund und Schwester Raphaela. Zumindest waren das die Einzigen, die den Mut gehabt hatten, ihre Bedenken zu äußern.
Schwester Lioba sah hinunter auf den Klosterhof, derverwaist in der schwachen Vorfrühlingssonne lag. Einige Krähen hockten in den blattlosen Kastanien, die hinter der Klostermauer das angrenzende Hotel abschirmten. Im Gästehaus schräg gegenüber öffnete sich die Eingangstür. Schwester Adelgund trat mit einem Korb heraus, aus dem bunt gemusterte Bettwäsche quoll.
Nachdenklich betrachtete Schwester Lioba die Gastschwester, die mit raschen Schritten den Hof querte. Die Polizei hatte gestern das Gästehaus frei gegeben. So konnten sie nun doch ihre Gäste aufnehmen, die schon ungeduldig angefragt hatten, ob ihre Buchungen storniert seien. Über Ostern waren sie immer voll belegt, viele suchten in diesen Tagen die Ruhe und Abgeschiedenheit unter ihrem Dach. Schwester Lioba rieb sich stöhnend die Stirn. Sie hatte so viel Schuld auf sich geladen, wie sie niemals für möglich gehalten hätte.
Die Tür des Gästehauses öffnete sich erneut. Markus Hertl trat heraus. Die Sonne fiel auf sein Gesicht und zeichnete tiefe Schatten unter seine Augen. Sein Blick wanderte an der gegenüberliegenden Fassade empor. Als er Schwester Lioba oben am Fenster entdeckte, hob er die Hand und gab ihr zu verstehen, dass er zu ihr herüberkommen wolle. Schwester Lioba nickte. Seufzend trat sie vom Fenster zurück und schickte ein Stoßgebet zu ihrem Schöpfer. Am liebsten hätte sie alle aus der alten Clique nach Hause geschickt. Sie traute keinem von ihnen einen Mord zu. Doch einer hatte geredet und so einen Mord heraufbeschworen.
19. Kapitel
Wenn aber die vorgenannten Männer ohne Frauen sind, bleiben sie ruhmlos wie der Tag, der ohne Sonne ist.
Die Schulbibliothek bestand aus mehreren zweckmäßig eingerichteten Räumen mit deckenhohen Stahlregalen und schäbigem Filzboden. Emma brauchte nicht lange, bis sie auf die alten Abi-Zeitschriften stieß. In ihnen trug jeder Jahrgang wie in einer Collage die wichtigsten Ereignisse der vergangenen Schuljahre zusammen. Irgendjemand hatte sie sorgfältig beschriftet und nach Jahrgängen sortiert in einem Ordner abgeheftet.
Emma blätterte sich durch einen ganzen Stapel von Zeitschriften und stieß schließlich auf die des Abschlussjahrgangs 1988. Sie nahm die Zeitschrift aus dem Ordner und überflog einzelne Artikel. Die Schüler und Schülerinnen schrieben viel über den Priester und seine Hildegard-AG. Kein Wunder, schließlich hatte sich ihr Lehrer sehr demonstrativ von seinen eigentlichen Aufgaben verabschiedet. Die Liste derer war lang, die sich für Hildegard von Bingen interessiert hatten: 16 Namen waren darauf verzeichnet. Fünf der Genannten hatte Schwester Lioba zu ihrer Weihe eingeladen. Blieben neun weitere.
Beim Hinausgehen dankte Emma der Bibliotheksaufsicht, eine abwesend blickende Frau mit dunkler Haut und kurzen Dreadlocks.
Emma kehrte zu ihrem Bus zurück, den sie auf dem Schulparkplatz abgestellt hatte. Dort fuhr sie den Laptop hoch und ging mit dem Surfstick online. Zunächst versuchte sie es mit Google. Sofort stieß sie auf den ersten Namen von ihrer Liste. Der Mann lebte mittlerweile als Herzchirurg in den USA.
Doch dabei blieb es auch. Emma gab alle weiteren Namen nach und nach in die Suchmaske ein, aber ohne Erfolg. Ein Teilnehmer der Hildegard-AG hieß Matthias Müller wie 10.000 andere Menschen. Emma machte sich nicht die Mühe, weiter nach diesem Namen zu suchen. Dann klapperte sie die Netzwerke ab. Xing, Facebook, Wer-kennt-wen, studiVZ. Am Ende hatte sie fast alle ehemaligen AG-Teilnehmer ausfindig gemacht. Einer der Männer lebte heute in Hamburg, eine der Frauen war unter ihrem Geburtsnamen nirgendwo zu finden. Aber immerhin fünf Ehemalige der alten Hildegard-AG lebten noch oder wieder im Rhein-Neckar-Raum. Emma suchte sich aus dem Online-Telefonbuch die Nummern und Adressen heraus.
Als Erstes versuchte sie es bei dem amerikanischen Herzchirurg, der in einer Klinik in New York arbeitete. Emma war verblüfft, wie schnell sie durchgestellt wurde. Er hatte Nachtdienst und war erstaunlich gut aufgelegt. Doch trotz seiner Freude über den überraschenden Anruf aus der alten Heimat, konnte er Emma nicht weiterhelfen. Anschließend versuchte sie es bei der Hamburger Adresse. Dort ging niemand dran, doch der Anrufbeantworter verriet die Handynummer, und wenige Minuten hatte Emma einen Versicherungsvertreter am Apparat.
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