Die Glut des Bösen: Kriminalroman (German Edition)
unpersönlicher zu reagieren, als angemessen war. »Das ist Teil unseres Lebens und muss nicht Teil Ihres Lebens sein. Wir können den Workshop auf den Ostersamstag legen.«
Auch das war kein guter Termin, wie Schwester Lioba fand, doch die Zeit drängte. Und wer weiß, vielleicht würden die Festtage ihnen die nötige Zeit und die richtige Stimmung verleihen, um so gewichtige Themen zu diskutieren. Silvia Neureuther nickte, und das Lächeln kehrte wieder in ihre Augen zurück.
»Ich bin etwas überrascht, dass unsere Finanzen Ihnen so viel Freude machen«, meinte Schwester Lioba.
Silvia Neureuther errötete erneut und schlug für einen Moment schuldbewusst die Augen nieder. »Es wirkt vielleicht etwas merkwürdig auf Sie, aber zum einen haben ich und Nicole, ich meine Schwester Erika, wir haben uns seit zwei Jahren nicht gesehen, und es war einfach schön, die alten Geschichten vom Studium wieder aufzuwärmen. Und zum anderen ist mir heute Nacht eine Idee gekommen, wie Sie beides haben können: Das Hotel bewirtschaften und weiterhin ein kontemplativer Orden bleiben.«
Schwester Lioba musste lächeln. Die Freude der Unternehmensberaterin war ansteckend. »Ich freue mich auf denWorkshop«, sagte sie. »Und am besten erzählen Sie jetzt nicht weiter. Dann bringen alle das gleiche Wissen in den Workshop mit, und wir können uns mit den Ideen von uns und Ihnen gleichermaßen beschäftigen.«
Schwester Lioba spürte, wie die Zuversicht und die Freude ihres Gegenübers die Sorgen der letzten Tage ein wenig von ihren Schultern nahm. Sie wünschte so sehr, dass Silvia Neureuthers Vorschlag ein gangbarer Weg sein könnte.
Sie nickte der Unternehmensberaterin freundlich zu, die sich vergnügt verabschiedete. Kaum hatte sich die Tür geschlossen, klopfte es erneut.
Schwester Lioba sah auf die Uhr neben ihrem Schreibtisch. Es war kurz vor 18 Uhr, in wenigen Minuten würde sich der Konvent in der Klosterkirche versammeln, um gemeinsam den Gründonnerstag-Gottesdienst zu feiern.
»Ja«, sagte sie zögernd. Erstaunt musterte sie ihre Stellvertreterin, die mit hochrotem Kopf das Büro betrat. Ihr Habit wirkte verdreht und verströmte einen strengen Schweißgeruch. Stirnrunzelnd sah Schwester Lioba sie an. Schwester Heidrun schien ihren Blick nicht zu bemerken.
»Schwester Adelgund«, sagte sie aufgebracht und faltete erregt die Hände, »es ist Schwester Adelgund.«
»Was ist mit Schwester Adelgund?«, fragte Schwester Lioba verblüfft. Die Gastschwester betreute seit einigen Jahren nahezu vorbildlich das Gästehaus.
»Das abtrünnige Schaf«, fuhr Schwester Heidrun entrüstet fort. »Sie trifft sich anscheinend bereits seit einiger Zeit regelmäßig mit einem Mann aus der Nachbarschaft.«
Erschüttert musterte Schwester Lioba ihre Stellvertreterin. Diese ließ sich ohne Aufforderung auf den Besucherstuhl sinken und rieb sich mit einem Papiertaschentuch die Stirn.
»Die Gastschwester?«, erwiderte Schwester Lioba entsetzt.Sie konnte nicht verhindern, dass sie als Erstes daran dachte, dass das ihre Pläne für das Hotel empfindlich erschütterte. Sie hatte bei ihren Überlegungen, wie man das Hotel als erweitertes Gästehaus nutzen könnte, immer fest auf die Fähigkeiten und Erfahrungen von Schwester Adelgund gebaut. Zugleich schämte sie sich für diesen rein materiellen Gedanken.
Schwester Heidrun schien ihr Entsetzen anders zu deuten.
»Ja, ehrwürdige Mutter, die junge Mutter vom Kiosk an der Ecke weiß anscheinend schon seit zwei oder drei Wochen davon und sieht keinen Anlass, das für sich zu behalten.«
Entsetzt musterte Schwester Lioba ihre Stellvertreterin.
»Es gibt bereits Gerede im Ort?«, fragte sie und wurde blass.
»Also ich weiß nicht, wem und wie vielen Menschen die Frau vom Kiosk bereits davon erzählt hat«, erwiderte Schwester Heidrun und steckte seufzend das zerknitterte Taschentuch ein. »Aber sie ist gewissermaßen persönlich betroffen.«
Fragend blickte Schwester Lioba die Priorin an. Diese richtete sich auf, als draußen die Kirchenglocken ertönten. In wenigen Minuten begann der Gründonnerstag-Gottesdienst, einer der wichtigsten Gottesdienste des Jahres. Sie würden Jesus symbolisch bei seiner letzten Mahlzeit Gesellschaft leisten und mit ihm wachen, während Judas seinen Herrn verriet und Petrus ihn dreimal verleugnete.
Schwester Heidrun erhob sich und ordnete ihren Habit. Sie sah an sich herunter, sammelte sich und schob die Hände in ihre Ärmel. Die Röte in ihrem Gesicht war
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