Die Glut des Bösen: Kriminalroman (German Edition)
die Wand geklebt. Emma nahm ihr Handy aus der Tasche und machte ein Foto.
Dann inspizierte sie das Metallregal hinter dem Schreibtisch genauer. Die Bücher waren ähnlich akkurat sortiert wie der gesamte Arbeitsplatz. Fast ausschließlich Fachbücher, einige ältere Exemplare, doch die meisten wirkten ziemlich neu und trugen einen Aufkleber der Universitätsbibliothek. Emma zweifelte nicht daran, dass es die Bücher für das Forschungsprojekt der Toten waren. Sie nahm jedes Buch ausdem Regal, schüttelte es und stellte es wieder zurück. Doch nirgendwo fiel ein Zettel heraus oder eine Quittung, die vielleicht als Lesezeichen gedient hatte.
Emma wandte sich dem obersten Regalbrett zu. Ordentlich aufeinander geschichtet lag dort ein Stapel neuerer Fachzeitschriften. Daneben stand ein Reiseführer über Island, ein Wanderführer für die Pfalz, ein Einführungsbuch in die Fotografie und ein populär aufgemachtes Buch über die Haltung von Hunden.
Emma nahm die wenigen privaten Bücher mit zum Schreibtisch und blätterte sie durch. In dem Buch über Hunde fand sie einige handschriftliche Anmerkungen, die vermuten ließen, dass Miriam Schürmann sich einen Hund zulegen wollte. Der Reiseführer über Island war nagelneu und unberührt. Das Buch über die Fotografie schien uralt zu sein und hatte offenbar dem Vater der Toten gehört. Auf dem Vorsatzblatt stand »Alfons Schürmann« in zittriger Altmännerschrift. Lediglich der Wanderführer für die Pfalz war offenkundig in letzter Zeit benutzt worden. Drei Routen waren angekreuzt, die allesamt nach einer längeren Wanderung in einem Waldstück bei ein und derselben Burgruine endeten.
Emma notierte sich die wichtigsten Stationen der Wanderrouten und stellte die Bücher zurück ins Regal. Enttäuscht, weil sie nichts von Bedeutung gefunden hatte, verließ Emma das Büro und zog die Tür hinter sich ins Schloss. Vor dem Ausgang kam ihr Uwe Zimmermann entgegen. Sein Blick glitt über ihre Hände und blieb an ihrer Handtasche hängen. Seine Prüfung schien zu seiner Zufriedenheit auszufallen. Jedenfalls blickte er hoch und nickte ihr im Vorübergehen flüchtig zu.
Emma kehrte zu ihrem Bus auf dem Parkplatz der Uni zurück und fuhr zur Wohnung der Toten. Doch die warnoch immer versiegelt. Auch die Gespräche mit einigen der Nachbarn brachte wenig. Zwei ließen Emma sofort abblitzen, eine Nachbarin erzählte Emma ausführlich von ihrem Gesundheitszustand, und eine Dritte wurde sofort unfreundlich. Nur eine ältere Dame aus dem ersten Stock gab Emma freundlich gelassen Auskunft, als sie erfuhr, dass Emma für eine Zeitung schrieb. Miriam Schürmann sei eine ruhige Mieterin gewesen, erzählte sie, unauffällig und nahezu unsichtbar. Sie habe so gut wie nie Besuch gehabt, nur in der letzten Woche vor ihrem Tod sei ein Mann bei ihr gewesen, ein Priester, da war sich die alte Dame ganz sicher. Er war am Donnerstag so gegen neunzehn Uhr eingetroffen.
Emma bedankte sich bei der alten Dame, die fast enttäuscht wirkte, nicht noch mehr erzählen zu dürfen. Nachdenklich kehrte Emma zu ihrem Auto zurück. Sie fragte sich, was der Priester von der Toten gewollt hatte. Sie zweifelte nicht daran, dass es der Priester Josef Windisch gewesen war, der Miriam Schürmann besucht hatte.
Nach kurzem Zögern nahm Emma ihr Handy und wählte Hertls Nummer. Er klang ruhig, als er sich meldete. Sie wechselte ein paar belanglose Sätze mit ihm und fragte ihn dann, ob er Lust habe, am Abend mit ihr essen zu gehen. Hertl sagte sofort zu.
Schwester Lioba musterte die Unternehmensberaterin skeptisch. Gestern bei ihrer Ankunft wirkte Silvia Neureuther sachlich, fast unterkühlt, im tadellosen Businessdress. Nun saß ihr eine junge Frau in Freizeitkleidung gegenüber. Ihre Wangen waren leicht gerötet, und die kurzgeschnittenen Haare standen nach allen Seiten ab.
»Wir sind so weit durch«, erklärte Silvia Neureuther gut gelaunt. »Es ist Zeit für den nächsten Schritt.«
»Der Workshop«, stellte Schwester Lioba fest. Verblüfft sah sie, wie die Unternehmensberaterin schmunzelte.
»Genau«, wiederholte Neureuther lächelnd, »der Workshop. Was halten Sie davon, wenn wir gleich morgen anfangen?«
»Morgen ist Karfreitag«, entgegnete Schwester Lioba kühl, »der Todestag unseres Herrn und der höchste Feiertag des Jahres.«
Silvia Neureuther errötete. »Tut mir leid. Ich …«
»Schon gut.« Schwester Lioba spürte, dass die Fröhlichkeit Neureuthers sie dazu veranlasst hatte,
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