Die Glut des Bösen: Kriminalroman (German Edition)
die die Handschrift gerne hätten. Und einige, die wollen, dass sie nie auftaucht.«
»Ach komm, diese Verschwörungstheorie ist doch albern«, brummte Paul.
»Aber dass du meinen Vater verdächtigst, das ist in Ordnung«, rief Emma.
»Komm, beruhig dich wieder«, knurrte Paul.
»Verdammt, es geht um meinen Vater.«
»Okay, Prinzessin«, erwiderte Paul und seufzte, »ich kann verstehen, dass dich das ärgert.«
Er verabschiedete sich und legte auf, ohne die Antwort abzuwarten. Emma starrte auf die stehende Autokolonne vor ihr. Sie glaubte nicht, dass ihr Vater etwas mit dem Mord zutun hatte. Trotzdem spürte sie, wie ein Rest Zweifel an ihr nagte.
Es war 18.47 Uhr, als der Bus auf dem Parkplatz unterhalb des Klosters ausrollte. Emma war müde, doch nun war es zu spät, sich noch einen Moment hinzulegen. Sie goss sich Wasser in eine flache Schüssel und wusch sich notdürftig. Dann zog sie eine helle Hose und eine grüne Baumwollbluse an. Sie bürstete ihre widerspenstigen Locken und schlüpfte in weiche hellbraune Mokassins. Zum Schluss puderte sie sich die Wangen und legte einen hellen Lippenstift auf. Zufrieden musterte sie sich im Spiegel. Dann griff sie nach ihrer Handtasche, legte zu Geldbeutel und Puderdose noch das Aufnahmegerät und die flache Kamera. Sie warf sich einen Trenchcoat über und kletterte aus dem Bus.
Hertl hatte es sich beim Italiener auf einem Fensterplatz mit Blick auf den Rhein bequem gemacht. Emma begrüßte ihn mit einem Lächeln, das Hertl nachdenklich erwiderte.
Ein Mann mit kahlrasiertem Schädel und den impulsiven Gesten eines Italieners brachte die Speisekarten. Emma studierte die Karte und bestellte dann hausgemachte Pasta mit Krebsfleisch und Lauch. Hertl ließ sich Antipasti mit Zucchini und Auberginen bringen, gefolgt von Lammkrone auf Steinpilzen.
Im Laufe des Essens wurde Hertl lockerer. Dazu trug auch eine Flasche halbtrockener Valpolicella bei, den sie gemeinsam bestellt hatten und von dem sich Hertl deutlich häufiger einschenkte als Emma.
Sie spürte, wie die Müdigkeit allmählich wich und wie sie begann, das Gespräch mit Hertl zu genießen. Sie mochte ihn. Er brachte sie zum Lachen, als er von seinen Vorlesungen an der Uni erzählte und den Gegenständen, die Studenten mit in den Hörsaal schleppten – angefangen von einemLaptop mit Internetzugang, der auch benutzt wurde, über ein komplettes Frühstück bis hin zu einer Transportbox mit Katze, die unaufhörlich jammerte.
Emma hatte sich seit Tagen nicht mehr so unbeschwert gefühlt. Hertl warf ihr einen freundlichen Blick zu. Er wirkte alkoholisiert, und Emma hoffte, dass dies seine Zunge lockerte.
»Haben Sie Familie?«, fragte sie spontan und hätte sich im nächsten Moment am liebsten auf die Zunge gebissen.
»Zwei Kinder«, sagte Hertl und schmunzelte. »Hagen, sieben Jahre, und Brunhild, vier Jahre alt.«
»Also Nibelungenfan.« Emma lächelte gequält und versuchte, ihre Enttäuschung zu verbergen.
»Meine Frau«, erwiderte Hertl. »Oder vielmehr Ex-Frau. Seit fünf Wochen. Ich muss mich noch dran gewöhnen.«
Emma wagte nicht aufzusehen. Sie griff nach ihrem Weinglas und leerte es.
»Wie weit sind Sie mit Ihren Recherchen?«, fragte Hertl.
Emma nahm sich ein Stück Brot aus dem Korb und tunkte die Reste der Weißweinsoße von ihrem Teller. »Ich denke eigentlich immer noch, dass in der Handschrift etwas drin stehen könnte, das nicht öffentlich werden soll.«
Hertl musterte sie nachdenklich. »Was könnte das sein?«, fragte er.
Emma lächelte. »Das wollte ich eigentlich Sie fragen.«
Sie sah den Widerhall ihres Lächelns in seinen Augen aufblitzen.
»Sexualität«, erwiderte er. »Es passt vielen nicht, was die Ordensfrau vor 800 Jahren über Sexualität geschrieben hat. Es gab damals auch andere Kleriker, die sich über die menschliche Sexualität ausgelassen haben. Kaum einer jedoch hat den körperlichen Aspekt so detailliert geschildert.«
»Aber das ist bekannt«, wandte Emma ein. »In den Abschriftenist doch alles nachzulesen, was Hildegard geschrieben hat.«
Hertl zögerte. Emma musterte aufmerksam sein Gesicht, dessen Ausdruck sie nicht deuten konnte.
»Es sind Abschriften, wie gesagt.« Hertl griff nach seinem Glas und leerte es mit einem Zug. »Im Original könnte alles Mögliche drin gestanden haben, wer weiß das schon.«
Enttäuscht griff Emma ebenfalls nach ihrem Glas.
»Wollen wir uns noch ein wenig die Füße vertreten?«, fragte er und sah sie fragend an.
Emma
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