Die Glut des Zorns (Billy Bob Holland) (German Edition)
gern an die erste Liebe, weil wir sie nicht missbraucht haben, um unsere Probleme zu lösen. Später benutzen wir die Liebe wie eine Droge. Mit Grabsteinen kann man keinen Menschen unter die Erde bannen, und wenn man jemand anderen vögelt, auch nicht«, erwiderte er. Er kehrte mir den Rücken zu, schaufelte eine Ladung schwarze Asche von den Kaminsteinen und kippte sie in den Eimer.
»Das ist ein bisschen heftig, Doc.«
Ich dachte, er würde sich umdrehen, wieder grinsen und vielleicht eine Art Entschuldigung anbringen.
Aber er tat es nicht.
Die Sonne schien auf die Wiesen und Hänge, als ich ins Jocko Valley fuhr, aber der Himmel im Norden wirkte wie versengtes Zinkblech, und in den Wolken über den Bergkämmen zuckten Blitze.
Kurz bevor ich von der Hauptstraße abbog, warf ich einen Blick in den Rückspiegel und sah ein tief gelegtes rotes Auto hinter mir, das sich zu schnell näherte und über den Mittelstrich ausscherte, als ob sich der Fahrer daran störte, dass ihm ein Hindernis im Weg war. Ich erinnerte mich, dass ich es zuvor bereits in Missoula gesehen, beziehungsweise gehört hatte, als der Fahrer auf die Auffahrt zum Interstate 90 gerast war. Der Wagen bog nicht ab, sondern blieb auf der Hauptstraße. Eine Frau, die auf dem Beifahrersitz saß, schaute mich mit ausdrucksloser Miene an, während ihr der Fahrtwind die Haare über den Mund fegte.
Ich fuhr durch das Tor zu Cleos Haus und hielt bei der Scheune. Ein Zimmermann, sonnengebräunt und gut aussehend wie ein nordischer Seemann, arbeitete mit bloßem Oberkörper auf dem Dach. Er teilte mir mit, dass Cleo nicht daheim sei; sie sei bei Patienten.
»In der Klinik?«, sagte ich.
Er schob den Hammer in eine Schlaufe an seinem Gürtel, kniete sich breitbeinig auf den Dachfirst und zeigte auf einen Fahrweg, der zwischen den Bäumen auf einem angrenzenden Hügel verschwand.
»Sie macht Hausbesuche. Sie wissen Bescheid, wenn Sie dort sind«, sagte er.
»Wie das?«, sagte ich.
»Manche Leute kümmern sich um streunende Katzen. Cleo ist eine tolle Frau, die beste, die’s in dieser Gegend gibt, Kumpel«, erwiderte er. Es klang fast wie eine Herausforderung.
Ich stieß durch das Tor und fuhr auf dem Feldweg in den Schatten der Bäume. Auf halber Höhe des Hügels sah ich hinten auf einer Lichtung ein ungestrichenes Haus, auf dessen Hof Cleos zerschrammter Pick-up parkte.
Der Hof war mit zerdrückten Bierdosen, Hühnerfedern, die von einem Hackblock geweht worden waren, Waschmaschinen und Autoteilen übersät, und neben einem Außenabort lag eine umgekippte Kloschüssel. Hinter dem Haus brannte ein Müllfeuer, dessen Qualm vom Wind durch die hinteren Fenster und die offene Haustür getrieben wurde. Ich trat auf die Veranda und sah Cleo, die in der Küche stand und eine Pfanne in der Hand hatte, aus der sie Haferbrei löffelte und drei kleinen Indianerkindern vorsetzte, die am Tisch saßen.
»Hallo?«, sagte ich und klopfte an den Türstock.
Sie strich sich mit dem Handgelenk eine Haarsträhne aus den Augen und schaute im schummrigen Licht zu mir her.
»Woher wissen Sie, wo ich bin?«, fragte sie.
»Von Ihrem Zimmermann.«
Doch sie war mit ihrer Arbeit beschäftigt und schaute jetzt nicht mehr zu mir.
»Okay, ihr drei. Wascht das Geschirr ab, wenn ihr fertig seid«, sagte sie zu den Kindern. »Schafft ihr das? Eure Großmutter wird bald hier sein. Mein Freund und ich warten draußen. Was machen wir am Samstag?«
»Ins Kino gehn!«, riefen die Kinder im Chor.
Kurz darauf gingen Cleo und ich hinaus auf den Hof. Die Sonne war verschwunden, dichter, grauer Dunst zog über die Bäume oben am Berg, und Regentropfen schlugen wie nasse Sterne auf die blanke Erde.
»Ihre Mutter ist neunzehn. Neunzehn, mit drei Kindern. Sie ist zurzeit in Missoula im Gefängnis. Sie hat sich das Leimschnüffeln abgewöhnt und ist auf Crystal Speed umgestiegen«, sagte Cleo.
»Seit wann gibt’s das hier draußen?«, fragte ich.
»Drei Jahre etwa. Die kalifornischen Gangs haben es nach Seattle und Spokane gebracht, dann war es überall zu kriegen.«
Mein Blick schweifte zu ihrem Mund, dem Muttermal an ihrem Kinn, den Haarsträhnen, die der Wind gegen ihre Wange wehte. Eine Indianerin mittleren Alters fuhr mit einer verrosteten Schrottkarre, die keine Windschutzscheibe hatte, auf den Hof und ging ins Haus. Sie nickte Cleo zu, aber mich beachtete sie nicht.
»Ist das die Großmutter?«, fragte ich.
»Könnte gut sein, dass sie mit fünfzig Urgroßmutter ist«, sagte
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