Die Glut des Zorns (Billy Bob Holland) (German Edition)
Gesicht flogen.
Er betrachtete ihr Römerprofil, die milchkaffeebraune Haut, die Narbe an ihrer Wange, die wie ein weißer Faden wirkte, den weichen rötlichen Mund. Er wollte sie berühren, aber ihr Schweigen und das Röhren des Autos, dessen Schalldämpfer abmontiert worden war, reizten und verunsicherten ihn immer mehr.
»Warum fährst du überhaupt so eine Schrottkarre?«, sagte Lucas.
»Weil ich auf einem Schrottplatz lebe. Weil mir die Regierung vorschreibt, was ich zu tun habe. Weil ich nicht frei über mein Leben bestimmen kann«, erwiderte sie.
Sie schloss die Hände fester ums Lenkrad. Als sie zu ihm schaute, funkelten ihre Augen vor Wut.
»Halt an«, sagte er.
»Nein!«
»Tu nicht so, als ob du ständig in Rätseln sprechen müsstest. Das ist echt langweilig, Sue Lynn«, sagte er und fasste ihr ins Steuer, sodass der Wagen auf die Gegenfahrbahn geriet und an einer flachen Wendestelle über einem Sandstrand am Blackfoot River zum Stehen kam.
»Ich habe einen Fehler gemacht. Ich hätte nicht mit dir tanzen sollen. Wyatt Dixon, Carl Hinkel und dessen Freunde sind Tiere. Die reißen dich in Stücke«, sagte sie.
»Bei uns in Texas gibt’s diese Typen wie Sand am Meer.«
»Du bist noch zu jung. Du weißt nicht, was du sagst.«
Sie stieg aus. Er dachte, sie würde die Tür zuknallen, doch sie starrte nur schweigend und mit einem schmerzlichen Blick, den er nicht zu deuten wusste, auf den Fluss, während ihr der Wind die Haare ins Gesicht wehte.
»Tut mir Leid, dass ich sauer geworden bin. Ich mag dich sehr, Sue Lynn. Aber ich bin kein Kind mehr, und du darfst auch nicht mehr so mit mir reden«, sagte er.
»Ich bin nicht das, was du meinst, Lucas. Ich bin kein guter Mensch«, sagte sie.
Sie lief auf einem Trampelpfad zum Strand hinab. Fünf Collegejungs in Badehosen saßen dort im Schatten eines großen, eiförmigen Felsens, warfen ein rotes Frisbee in den Fluss und hetzten einen Hund, eine Promenadenmischung, hinterher, der es apportieren sollte. Jedes Mal, wenn der Hund das Frisbee zurückbrachte, bekam er ein Stück von einem Hamburgerbrötchen.
Lucas holte Sue Lynn am Ufer ein. Das Frisbee segelte wie ein Teller an ihrem Kopf vorbei und landete weit draußen in der Strömung. Der Hund stürzte sich ins Wasser und schwamm hinterher. Sein Rücken war räudig und voller Schwären, und unter dem Fell zeichneten sich die Rippen ab.
»Du kannst nicht einfach sagen, dass du nichts taugst. Damitstellst du doch die Leute, die an dich glauben, als blöd hin«, sagte Lucas.
»Ich fahre dich jetzt wieder nach Hause«, sagte sie.
»Billy Bob hat mir zwei Karten für das Joan-Baez-Konzert in der Universität geschenkt«, log er.
»Ich bin froh, dass ich dich kennen gelernt habe, Lucas, aber ich will mich nicht mehr mit dir treffen.«
»Das ist eine verdammt beschissene Einstellung«, erwiderte er.
»Eines Tages wirst du es verstehen.«
»Bestimmt.«
Der Hund hatte gerade das Frisbee zu einem der Collegejungs zurückgebracht, schnüffelte im Sand herum und suchte ein Stück Brötchen. Er zitterte vor Erschöpfung, und das nasse Fell klebte an seinen ausgemergelten Hinterbeinen. Der Collegejunge warf das Frisbee erneut durch die Luft. Es landete in der Strömung und wurde flussabwärts getrieben.
»Einen Moment«, sagte Lucas zu Sue Lynn.
Er watete in den Fluss, holte das Frisbee und ging zu dem Felsen, in dessen Schatten die Collegejungs auf ihren Decken saßen und eine Kühlbox zwischen sich stehen hatten. Sie waren sonnengebräunt, muskulös und strahlten eine geradezu einfältige Selbstsicherheit aus, als wären sie davon überzeugt, dass sie im Kreis ihrer Freunde über Alter und Sterblichkeit erhaben wären.
»Der Hund ist abgekämpft. Warum gebt ihr ihm nicht einfach was, wenn ihr ihn füttern wollt? Lasst ihn nicht ertrinken, bloß damit er ein bisschen was zu fressen kriegt«, sagte Lucas.
Einer der Jungen stützte sich auf den Ellbogen und blinzelte mit einem Auge in die Sonne.
»Bist du da von selber draufgekommen?«, fragte er.
»Ihr seid zu fünft, ich bin allein. Ich weiß, wozu ihr fähig seid. Aber quält kein hilfloses Tier«, sagte Lucas.
Einer der Jungs nahm seine Sonnenbrille ab und wollte aufstehen. Aber der Junge, der sich auf den Ellbogen gestützt hatte, legte ihm die Hand auf den Arm.
»Du hast Recht. Warum fütterst du ihn nicht?«, sagte er und schmiss Lucas eine Tüte mit Abfall und Essensresten zu.
Lucas ging in Richtung Trampelpfad, kniete sich dann hin und gab
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