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Die Glut

Die Glut

Titel: Die Glut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sándor Márai
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So und so ist es geschehen. Dann und dann ist es geschehen. Das zu erfahren ist nicht schwer. Die Tatsachen sprechen, wie man zu sagen pflegt; gegen Lebensende schreien die Tatsachen ihre Geständnisse lauter heraus als die Angeklagten auf der Folterbank. Am Ende ist alles geschehen, und das lässt sich nicht missverstehen. Doch zuweilen sind die Tatsachen nur armselige Folgeerscheinungen. Man macht sich nicht mit dem schuldig, was man tut, sondern mit der Absicht, die hinter diesem Tun steckt. In der Absicht ist alles. Die großen, alten, von der Religion bestimmten Rechtsordnungen, die ich studiert habe, wissen und verkünden das. Ein Mensch kann eine Treulosigkeit, eine Gemeinheit, ja auch das Schlimmste, einen Mord, begehen und dabei schuldlos bleiben. Die Handlung ist noch nicht die Wahrheit. Sie ist immer nur eine Folge, und wenn man eines Tages als Richter auftreten und ein Urteil sprechen muß, darf man sich nicht mit den Tatsachen aus dem Polizeirapport begnügen, man muß auch das kennen, was die Juristen das Motiv nennen. Die Tatsache deiner Flucht ist leicht zu verstehen.. Ihr Motiv nicht. Du kannst mir glauben, dass ich in den vergangenen einundvierzig Jahren jede Möglichkeit erwogen habe, um mir diesen unverständlichen Schritt zu erklären. Keine einzige Erwägung führte zu einer Antwort. Nur die Wahrheit vermag zu antworten.«
    »Du sprichst von Flucht«, sagt Konrád. »Das ist ein starkes Wort. Schließlich und endlich war ich niemandem etwas schuldig. Ich hatte meinen Rang ordnungsgemäß aufgegeben. Ich habe keine schmutzigen Schulden zurückgelassen, ich hatte niemandem etwas versprochen und dann nicht eingehalten. Flucht, ein starkes Wort«, sagt er ernst und richtet sich ein wenig auf.
    Dem Zittern seiner Stimme ist aber anzuhören, dass die Aufwallung, die düster mitschwingt, nicht ganz ehrlich ist.
    »Mag sein, dass das Wort zu stark ist«, sagt der General nickend. »Aber wenn du das Geschehen aus der Distanz betrachtest, musst du zugeben, dass es nicht leicht ist, ein milderes zu finden. Du sagst, du seist niemandem etwas schuldig gewesen. Das stimmt, und stimmt auch nicht. Natürlich warst du weder deinem Schneider noch den Wucherern in der Stadt etwas schuldig. Auch mir hast du weder Geld noch etwas Versprochenes geschuldet. Und doch wusstest du an dem Julitag - du siehst, ich erinnere mich sogar noch an den Tag, es war ein Mittwoch -, als du die Stadt verlassen hast, dass eine Schuld zurückblieb. Am Abend ging ich in deine Wohnung, weil ich gehört hatte, dass du verreist warst. Ich hatte es beim Einbruch der Dunkelheit erfahren, unter besonderen Umständen. Auch darüber können wir einmal sprechen, wenn du willst. Ich ging zu deiner Wohnung, wo mich nur noch dein Bursche empfing. Ich bat ihn, mich allein zu lassen, in dem Zimmer, wo du in den letzten Jahren gelebt hattest, als du den Dienst hier in der Stadt versehen hast.« Er verstummt, lehnt sich zurück und bedeckt mit der Hand die Augen, als blicke er in die Vergangenheit. Dann fährt er mit ruhiger, gleichmäßiger Stimme fort: »Selbstverständlich gehorchte der Bursche meinem Befehl, es blieb ihm ja nichts anderes übrig. Ich war allein in dem Zimmer, wo du gewohnt hast. Ich habe mir alles gut angeschaut ... Verzeih die taktlose Neugier. Aber irgendwie vermochte ich die Realität nicht zu glauben, konnte nicht glauben, dass der Mensch, mit dem ich einen großen Teil meines Lebens verbracht hatte, das heißt genau vierundzwanzig Jahre, die schönsten Jahre der Kindheit, der Jugend und des Mannesalters, dass dieser Mensch geflohen war. Ich gab mir Mühe, es zu rechtfertigen, ich dachte, vielleicht ist er schwer krank, oder ich hoffte, du seist verrückt geworden oder man sei hinter dir her, vielleicht hattest du Karten gespielt oder dich gegen das Regiment, die Fahne, dein Wort oder deine Ehre vergangen. Solches hoffte ich. Ja, wundere dich nicht, das alles schien mir damals ein geringeres Vergehen als das, was du getan hattest. Alles wäre mir als Rechtfertigung und Erklärung erschienen, sogar noch der letzte Verrat an den Idealen der Welt. Nur eines konnte ich nicht verstehen: dass du dich an mir versündigt hattest. Du bist weggelaufen wie ein Betrüger, wie ein Dieb, du bist weggelaufen, nachdem du ein paar Stunden zuvor noch mit uns zusammen gewesen warst, mit Krisztina und mir, im Schloss oben, wo wir lange Jahre hindurch die Stunden des Tages und manchmal auch der Nacht gemeinsam verbracht hatten, in Vertrauen und

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