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Die Glut

Die Glut

Titel: Die Glut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sándor Márai
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geschwisterlicher Vertrautheit, wie sie nur die Zwillinge kennen, diese seltsamen Wesen, die durch eine Laune der Natur auf Leben und Tod miteinander verbunden sind. Du weißt ja, Zwillinge, die noch als Erwachsene, noch in der Entfernung, alles voneinander wissen. Und denen ein seltsames Naturgesetz befiehlt, gleichzeitig zu erkranken, und an der gleichen Krankheit, auch wenn der eine in London lebt und der andere weit weg, in einem fremden Land. Sie reden nicht miteinander, sie schreiben einander nicht, sie leben in verschiedenen Verhältnissen, sie ernähren sich unterschiedlich, zwischen ihnen Tausende von Kilometern. Und doch bekommen sie im Alter von dreißig oder vierzig Jahren die gleiche Krankheit, eine Gallenkolik oder eine Blinddarmentzündung, wobei sie die gleichen Überlebenschancen haben. Die beiden Körper sind einander organisch verbunden wie im Mutterleib ... Und sie lieben oder hassen dieselben Menschen. Das gibt es, in der Natur. Nicht häufig … Aber vielleicht auch nicht so selten, wie man allgemein glaubt. Und manchmal habe ich sogar gedacht, dass die Freundschaft eben eine solche Verbindung ist - wie die schicksalhafte Zusammengehörigkeit von Zwillingen. Eine merkwürdige Identität der Neigungen, der Sympathie, des Geschmacks, des Temperaments und der Bildung verbindet zwei Menschen im selben Schicksal. Und der eine mag dem andern antun, was er will, sie haben doch ein gemeinsames Los. Und der eine mag vor dem anderen fliehen, das Wesentliche wissen sie doch voneinander. Und der eine mag einen neuen Freund oder eine Geliebte nehmen, er kommt ohne die geheime, ungeschriebene Erlaubnis des anderen von ihrer Gemeinsamkeit nicht los. Das Schicksal solcher Menschen vollzieht sich auf parallel verlaufenden Wegen, der andere mag noch soweit weggehen, und sei es in die Tropen. Daran dachte ich, beiläufig, als ich in deinem Zimmer stand, am Tag deiner Flucht. Ich sehe diesen Augenblick ganz deutlich vor mir, rieche noch den Duft des schweren englischen Tabaks, sehe noch die Möbel, den Diwan mit dem großen Orientteppich, die Reiterbilder an den Wänden. Und auch an einen bordeauxroten Ledersessel erinnere ich mich, wie sie in Rauchzimmern zu stehen pflegen. Der Diwan war groß, und man sah ihm an, dass du ihn hattest anfertigen lassen, so etwas konnte man in unserer Gegend nicht kaufen. Es war eigentlich gar kein Diwan, sondern eher ein französisches Bett, für zwei Personen.«
    Er blickt dem Rauch nach.
    »Das Fenster ging auf den Garten. Wenn ich mich recht erinnere ... Es war das erste und das letzte Mal, dass ich dort gewesen bin. Du wolltest nie, dass ich dich besuche. Und nur nebenbei hast du erwähnt, dass du ein Haus gemietet hattest, am Stadtrand, in einer verlassenen Gegend, ein Haus mit Garten. Du hattest es drei Jahre vor deiner Flucht gemietet - verzeih, ich sehe, dass du das Wort nicht gern hörst.«
    »Mach nur weiter«, sagt der Gast. »Auf Wörter kommt es nicht an. Mach weiter, da du schon angefangen hast.«
    »Meinst du?«, fragt der General mit harmlosem Interesse. »Kommt es auf die Wörter nicht an? Das würde ich nicht zu behaupten wagen. Zuweilen scheint es mir schon, dass es auf die Wörter, die man sagt oder verschweigt oder schreibt, sehr wohl ankommt, wenn nicht sogar ausschließlich auf sie ... Ja, das glaube ich«, sagt er jetzt bestimmt. »Du hattest mich nie in diese Wohnung eingeladen, und ungeladen konnte ich dich nicht besuchen. Um ehrlich zu sein, ich dachte, du schämtest dich vor mir, dem reichen Mann, für diese Wohnung, die du möbliert hattest ... Vielleicht empfandest du sie als ärmlich ... Du warst ein sehr stolzer Mensch«, sagt er bestimmt. »Das einzige, das uns in unserer Jugend trennte, war das Geld. Du warst stolz und konntest mir nicht verzeihen, dass ich reich bin. Später im Leben habe ich sogar daran gedacht, dass man Reichtum vielleicht wirklich nicht verzeihen kann. Das Vermögen, dessen ständiger Gast du warst, hatte etwas völlig Übertriebenes ... Ich war da hineingeboren worden, und auch ich hatte zuweilen das Gefühl, es sei unverzeihlich. Und du hast immer peinlich darauf geachtet, mich den finanziellen Unterschied zwischen uns fühlen zu lassen. Die Armen, vor allem die Armen der höheren Gesellschaftsschicht, verzeihen nicht«, sagt er mit seltsamer Befriedigung. »Deshalb dachte ich, du versteckst vielleicht die Wohnung vor mir, vielleicht schämst du dich der einfachen Möbel. Eine dumme Vermutung, ich weiß das jetzt, aber dein

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