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Die Glut

Die Glut

Titel: Die Glut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sándor Márai
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Hochmut war wirklich grenzenlos. Nun, eines Tages stehe ich doch in dem Heim, das du gemietet und eingerichtet und mir nie gezeigt hast. Und ich traue meinen Augen nicht. Diese Wohnung war, wie du ja weißt, ein Kunstwerk. Sie war nicht groß, ein geräumiges Zimmer im Erdgeschoss, zwei kleine im oberen Stock, doch Möbel, Zimmer und Garten, und alles so, wie sich nur ein Künstler einzurichten vermag. Da habe ich begriffen, dass du tatsächlich ein Künstler bist. Und ich begriff auch, wie sehr du unter uns anderen Menschen ein Fremder warst. Und wie sehr man sich an dir versündigt hat, als man dich aus Liebe und Ehrgeiz zum Militär gab. Nein, ein Soldat warst du nie - und ich konnte die tiefe Einsamkeit nachfühlen, in der du unter uns gelebt hattest. Dieses Zuhause aber war dein Versteck, so wie im Mittelalter die Burg oder das Kloster für jene, die der Welt entsagt hatten. Und wie ein Pirat hast du hier alles gehortet, was schön und edel ist: Vorhänge und Teppiche, alte Bronzen und Silber, Kristalle und Möbel, seltene Stoffe ... Ich weiß, in jenen Jahren starb deine Mutter, und du hattest auch von deinen polnischen Verwandten geerbt. Du hast einmal ein Gut an der russischen Grenze erwähnt, und dass es dir gehören würde. Hier also war das Gut, in diesen drei Zimmern, umgetauscht in Möbel und Bilder. Und in der Mitte des unteren Zimmers der Flügel, mit altem Brokat bedeckt, darauf eine Kristallvase mit drei Orchideen. Die gibt es in dieser Gegend nur in meinem Gewächshaus. Ich bin durch die Zimmer gegangen und habe mir alles gründlich angeschaut. Ich begriff, dass du unter uns gelebt und doch nicht zu uns gehört hast. Ich begriff, dass du dieses Kunstwerk, dieses ungewöhnliche Zuhause, heimlich geschaffen hattest, trotzig und mit großem Kraftaufwand, um es vor der Welt zu verstecken, um nur für dich und deine Kunst zu leben. Denn du bist ein Künstler, und vielleicht hättest du ein Werk schaffen können«, sagt er, als dulde er keinen Widerspruch. »Das alles habe ich zwischen den erlesenen Möbeln der verlassenen Wohnung begriffen. Und in dem Augenblick trat Krisztina ein.«
    Er verschränkt die Arme über der Brust und spricht so leidenschaftslos und gelassen, als diktiere er einem Polizisten den Hergang eines Unfalls in die Feder.
    »Ich stand vor dem Klavier und betrachtete die Orchideen«, sagt er. »Die Wohnung war wie eine Verkleidung. Oder war für dich vielleicht die Uniform eine Verkleidung? Das kannst nur du beantworten, und jetzt, da alles vorbei ist, hast du tatsächlich geantwortet, nämlich mit deinem Leben. Die wichtigen Fragen beantwortet man letztlich immer mit seinem ganzen Leben. Spielt es eine Rolle, was man unterdessen sagt, mit welchen Worten und Prinzipien man sich verteidigt? Am Ende, am Ende von allem, beantwortet man mit den Tatsachen seines Lebens die Fragen, die einem die Welt so hartnäckig gestellt hat. Solche Fragen lauten: Wer bist du? ... Was wolltest du wirklich? ... Was konntest du wirklich? ... Wo warst du treu, wo untreu? … Wo warst du tapfer und wo feige? ... So lauten diese Fragen. Und man antwortet, wie man kann, ehrlich oder verlogen; das ist aber nicht so wichtig. Wichtig ist, dass man am Ende mit seinem ganzen Leben antwortet. Du hast die Uniform abgelegt, weil sie dir als Verkleidung vorkam, soviel ist schon klar. Ich hingegen habe sie getragen, solange der Dienst und die Welt es von mir verlangten; und auch ich habe geantwortet. Das war die eine Frage. Die andere: Was warst du für mich? Warst du mein Freund? Schließlich bist du geflohen. Ohne Abschied, wenn auch nicht ganz ohne, denn am Vortag war auf der Jagd etwas geschehen, dessen Sinn mir erst später aufging; das war bereits der Abschied. Man weiß selten, welches Wort oder welche Handlung eine endgültige, nicht rückgängig zu machende Veränderung in den zwischenmenschlichen Beziehungen ankündigt. Warum bin ich denn an jenem Tag in deine Wohnung gegangen? Du hast mich nicht gerufen, du hast dich nicht verabschiedet, hast keine Nachricht hinterlassen. Was suchte ich dort, wohin du mich nie eingeladen hattest, gerade an dem Tag, an dem du von uns weggegangen bist? Welche Botschaft trieb mich, den Wagen zu nehmen, schnell in die Stadt zu fahren, dich in deiner Wohnung aufzusuchen, die da aber schon leer war? ... Was hatte ich am Vortag, auf der Jagd, erfahren? War da nicht etwas verlorengegangen? ... Hatte ich nicht eine vertrauliche Nachricht, einen Wink, eine Meldung erhalten, dass du

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